APA/Markus Leodolter

In den letzten Tagen seit Samstag habe ich sehr viel geredet, obwohl es mir überhaupt nicht danach war.
Wenn Du einen Menschen vor Dir sterben siehst, ihm nicht mehr helfen kannst und neben Dir liegt schwerverletzt seine wimmernde Frau, dann ist das ein Bild, das mich wahrscheinlich mein Leben lang begleiten wird.

Die Psychologen sagen mir, dass das Reden auf Sicht gut tut, aber es fehlen einem letztlich häufig die Worte, weil man so eine Tat nicht begreifen kann.
Mein ganzes Mitgefühl gilt den Eltern und Angehörigen des getöteten Adis und des getöteten Valentin, und ich trauere um jene junge Frau, deren Lebensgeschichte ich nicht kenne, die aber nicht einmal im Tod jemand abgegangen zu sein scheint.
Der 20. Juni war ein furchtbarer Samstag und für mich persönlich der schrecklichste Tag meines Lebens, obwohl ich weiß wie viel Leid und Schmerz täglich Menschen auf diesem Planeten erleiden, die nicht das Glück haben, dass sie bei all dem Chaos erleben dürfen, wie Menschen zusammenhalten, wie sie füreinander da sind, wie sie anderen die Wunden verbinden, sich stützen oder einfach beruhigen.
Dafür darf ich allen heute ein herzliches Dankeschön und Vergelt’s Gott sagen.
Jenen, die professionell und vorbildlich über ihre Einsatzorganisationen an die Stätten des Schreckens kamen, aber auch ganz besonders all jenen Helferinnen und Helfern, deren Namen ich nicht kenne, die von der ersten Minute ihren Mitbürgerinnen und Mitbürger, die geschockt oder verletzt waren, beigestanden sind, und all jenen in unseren Krankenhäusern, die schnell und unbürokratisch mit ihrer Kompetenz geholfen haben. Danke!
Das Menschliche ist eine Legierung aus Gut und Böse, hat der große Psychiater Viktor Emanuel Frankl gesagt und der Riss geht durch all unser Menschsein hindurch.
In den Augen des Täters habe ich glaube ich ein Stück der Hölle gesehen, in den Augen der Hunderten Helferinnen und Helfer konnte ich erahnen, was wir mit Himmel meinen.
Wenn das Ganze irgendeinen Sinn gehabt haben soll, dann den, dass wir um unsere gesellschaftliche Verletzlichkeit wissen, weil so eine Wahnsinnstat schwer zu verhindern ist, aber auch um unsere gesellschaftliche Stärke des Zusammenhalts.
Deshalb hoffe ich, dass dieser Tag und diese Woche uns alle für die Zukunft aufmerksamer machen.
Aufmerksamer für das, was wir um uns, wo wir wohnen oder wo wir arbeiten, wo wir in die Schule gehen oder wo wir Sport betreiben, hören und sehen, und dass wir auch darauf reagieren.
Dass wir anrufen und Hilfe einfordern, wenn wir merken, dass Menschen um uns aus der Rolle fallen und zur Gefahr werden können.
Dass wir aber auch aufmerksam sind und reagieren, wenn wir merken, dass es Menschen gibt, die dieses Füreinander-Dasein durch Hetze und Hasstiraden, durch das Ausspielen von Bevölkerungsgruppen untereinander spalten wollen.
Ich würde mir wünschen, dass es ab heute unter denen, die die Medien machen, eine Art Verschwörung gäbe, menschlich ermutigend zu sein!
Es ist die Sprache, die manchmal ungewollt, manchmal gewollt immer roher wird. Auch dem müssen wir gemeinsam entschieden entgegentreten.
Wenn das gelingt sehe ich am Ende des Tunnels, durch den unsere Stadt in diesen Tagen gegangen ist, ein helles Licht.
Ich danke Ihnen für Ihr so wahrnehmbares Schweigen, und ich bin stolz, Bürgermeister einer Stadt sein zu dürfen, in der die Menschen so zueinander stehen!

Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl