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“Fürchtet Euch nicht!“ ruft der Weihnachtsengel den Menschen zuerst zu. Erst muss er die Angst vertreiben. Dann erst kann er die Friedensbotschaft überbringen, Gottes Geheimnis dieser Heiligen Nacht: „Friede auf Erden den Menschen, die er liebt!“

Frieden kann sich nur einstellen, wenn die Menschen nicht in Angst leben. Erstaunlicherweise gilt das auch für jene Machthaber, die Kriege beginnen und somit Angst säen. Denn auch sie handeln aus Furcht, analysiert der in Athen wirkende Historiker und Denker Thukydides. Furcht, Ehrgeiz und Eigensucht nennt Thukydides schon im 5. Jahrhundert vor Christus als die drei Motive, aus denen das menschliche Machtstreben gespeist ist, das die Mächtigen immer wieder dazu treibt, Kriege zu beginnen. Furcht also ist und war immer allgegenwärtig: oben, an der Spitze der Gesellschaft, ebenso wie in ihrer Mitte, und vor allem an den Rändern.
Der Friedensengel richtet seine Botschaft zuerst an die, die am Rand der Gesellschaft stehen. Vor 2000 Jahren waren das die Hirten. Sie waren gering geachtet, lebten selbst außerhalb der Gemeinschaft – in Armut und in Angst. Die Gesellschaft ihrerseits lebte in Angst vor denen, die sie ausschloss, die immer ein bisschen fremd waren und vielleicht auch bleiben sollten.
Auch heute erleben wir, dass uns Fremdheit und Armut Angst machen können. Die Flüchtlingskrise zeigt uns das ganz deutlich. Ängste in der Gesellschaft äußern sich auf vielfältige Weise: In Ablehnung, in wütenden Kommentaren, darin, dass bösartige Gerüchte gestreut werden, darin, dass HelferInnen diffamiert werden, darin, dass die so genannten „eigenen Armen“ gegen die „von außen hereindrängende Armut“ ausgespielt werden. So gefährden Angst und Armut den sozialen Frieden, auch in unserer Stadt.
Andererseits erleben wir, dass gegen diese Ängste gearbeitet werden kann. Viele Menschen engagieren sich, helfen und unterstützen. Hilfe leisten heißt dann auch, das Gesicht in der Masse sehen. In den Tausenden das einzelne Schicksal wahrnehmen. Wenn das geschieht, wird das Fremde vertraut. Tausende Freiwillige tun das seit Wochen in ganz Österreich, und fast 1500 für die Caritas hier in Graz. Sie helfen der Caritas, den jesuanischen Auftrag heute zu erfüllen, der seit 2000 Jahren derselbe ist, nämlich die Werke der Barmherzigkeit in die Tat umzusetzen: Hungrigen zu Essen eben, Nackte bekleiden, Kranke und Gefangene besuchen, Durstigen zu Trinken geben, Fremde und Obdachlose aufnehmen.
Der Friedensengel formuliert mit seinem beruhigenden Wort „Fürchtet Euch nicht!“ auch einen Aufruf, sich von der Furcht, die aus Eigenliebe genährt ist, zu lösen – nämlich die Furcht vor dem Verlust von Macht, Einfluss und einer bestimmten Position. Der Aufruf zum Frieden stellt so der Eigenliebe auch ein fundamental anderes Bild vom Menschen und von der Liebe gegenüber. Papst Franziskus hat jetzt zum Jahr der Barmherzigkeit aufgerufen. Zu Weihnachten ist dies ein Auftrag, um die Weihnachtsbotschaft hier und heute wahrzumachen. Denn Barmherzigkeit hilft, Gerechtigkeit herzustellen. Und Gerechtigkeit schafft Frieden.

Franz Küberl, Caritas-Direktor – Gedanken zum Frieden
Bild: © Stadt Graz/Fischer