Sie ist einer der Grundpfeiler des menschlichen Zusammenlebens, spielt eine wichtige Rolle in der gemeinsamen Konfliktlösung. Und im Gegensatz zu anderen Kompetenzen können sie alle stärken, üben, trainieren – die Empathie, die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen; das berühmte „in den Schuhen eines anderen gehen“ eben. Dabei geht es jedoch nicht bloß darum, die Gefühle des Gegenübers zu verstehen. Auch die Fähigkeit, die Perspektive und Rolle einer anderen Person zu übernehmen sowie die Bereitschaft, auf deren Situation emotional zu reagieren, sind Puzzleteile der Empathie.

Sie gehört geübt, wiederholt, immer wieder neu „erprobt“, um nicht doch irgendwie in Vergessenheit zu geraten, im „Hinterstübchen“ verloren zu gehen. Dafür gibt es viele Ideen, die unterschiedlichsten Methoden und Ansätze. Kinder zum Beispiel können die  Empathie mit Hilfe von Rollenspielen trainieren – „stell dir vor, deine Klassenkameraden sagen dir eines Tages, dass du nicht mehr mitspielen darfst“ … Das Kind wird damit in die Position des Ausgeschlossenen versetzt und versteht so viel besser, wie verletzend es sein kann, wenn man plötzlich nicht mehr „dazu gehört“. Fragen wie „Wie würdest du dich denn verhalten, wenn …?“, „Wie würdest du dich fühlen, wenn …?“ können die Sensibilität der Kinder für andere Menschen weiter schärfen.

Die Karten werden neu gemischt
In der Schule, mit Kindern, Jugendlichen, Lehrenden oder Erwachsenen versuchen wir mit einem weiteren Rollenspiel die eigene Empathiefähigkeit zu schärfen – eine Übung, die wir alle immer wieder, für uns selbst oder aber auch gemeinsam, im Team, unter Freundinnen und Freunden im Café, Zuhause, unterwegs durchführen können.

Was wäre wenn … Was wäre, wenn wir eines Tages aufwachten, jemand anderes wären. Eine alleinerziehende Mutter, ein einarmiger Mann? Wir hätten sechs Geschwister, säßen in einem Rollstuhl, wären geschieden, jüdischen Glaubens oder aus einem anderen Land? Was wäre dann?

Bei dieser Übung erhalten wir alle eine neue Identität und Zeit, sich in diese andere Rolle  hineinzuversetzen. Was würde sich verändern? Und wie würden unsere Mitmenschen auf uns reagieren?

Nenne mindestens fünf verschiedene Veränderungen in deinem Leben, die sich auf Grund deiner neuen Identität für dich ergeben würden.

Welche Veränderungen in deinen Einstellungen und in deinem Verhalten werden deiner Meinung nach auftreten?

Sage voraus, wie andere auf dich reagieren werden. Denke speziell an die Haltungen deiner Familie, enger Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, deines Umfelds im Allgemeinen und der Gesellschaft.

Meinst du, dass du als diese neue Person mehr oder weniger Macht oder Einfluss an deinem Arbeitsplatz haben wirst? Wie könnte es innerhalb der Gesellschaft aussehen?

Was könntest du der Gesellschaft nun bieten, was du ihr davor nicht zur Verfügung stellen konntest?

Was brauchst oder erwartest du von anderen, was du zuvor nicht gebraucht oder erwartet hast?

Wirst du mehr oder weniger Schwierigkeiten haben, in der Wohngegend deiner Wahl zu leben?

Glaubst du, dass du in deinem neuen Leben glücklich sein könntest?

(aus dem Handbuch für ModeratorInnen der Anti-Defamation-League, 2001, „die Karten werden neu gemischt“)

Diese paar Fragen können helfen, die Perspektive zu verändern, dahinter zu blicken, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. Weshalb reagieren andere so und nicht anders? Wer immer wieder in die Rolle der Mitmenschen schlüpft, versucht die Dinge aus deren Sicht zu sehen, kann so viel eher Verständnis aufbringen und damit mögliche Missverständnisse schon im Vorfeld aus dem Weg räumen.

Wer sich in der Konfliktforschung schlau macht, stößt über kurz oder lang auf Vern Redekop. Der kanadische Konfliktforscher hat mit seiner Bedürfnistheorie eine weitere Möglichkeit geschaffen, ein paar Schritte in den Schuhen einer anderen Person zu laufen.

Die fünf Identitätsbedürfnisse nach Vern Redekop
Es gibt Dinge, die wir brauchen, wonach wir streben. Zugehörigkeit zum Beispiel oder Anerkennung, Sinn, Handlungsfreiheit, Sicherheit. Bestimmte Bedürfnisse, deren Erfüllung nötig ist, um sich als Volk, Gruppe oder auch als Einzelperson vollständig zu fühlen und in Frieden leben zu können. Redekop identifizierte in seiner Arbeit fünf Identitätsbedürfnisse, die für uns alle, egal ob groß, klein, dick, dünn, kanadisch, österreichisch oder afghanisch, Gültigkeit haben. Der einzige Unterschied: Die Art und Weise, wie diese Bedürfnisse erfüllt oder eben nicht erfüllt werden. Sie ist kulturabhängig,  von Mensch zu Mensch verschieden. Es kann also sein, dass das Bedürfnis der Anerkennung für den Einen sehr eng an Titel und Funktionsbezeichnungen geknüpft ist, während es bei anderen viel eher darum geht, das eigene Können aktiv zu zeigen. Anerkennung hat viel mit „gesehen werden“ zu tun. Während der Herr Mag. Dr. Mustermann das Bedürfnis der Anerkennung in der andauernden Erwähnung seiner Titel erfüllt sieht, ist das Kind stolz, wenn die neu errungene Fähigkeit des Schuhzubindens auch wirklich gesehen wird.

In der Konfliktprävention geht es also darum, emphatisch zu sein, nicht gleich von sich auf andere zu schließen, um den Versuch, vorsichtig herauszufinden, weshalb das Gegenüber gerade so reagiert.

Informationen & Quellen
Kulturen Fair-Stehen – die Identitätsbedürfnisse nach Vern Redekop
Vern Neufeld Redekop „From Violence to Blessing“

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Von: Biene

1. Oktober 2018

Bild: Grafik: Christina Hauszer

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