Wie kann gute Nachbarschaft gelingen? Diese Fragen würden wir in einem (Betonung auf einem) Blogbeitrag wahrscheinlich nicht beantworten können, daher nähern wir uns dem Thema ber eine ebenfalls entscheidende Frage, nämlich: Wie kann der Neueinzug gelingen?

Stellen Sie sich vor, es ziehen neue Nachbarn ein und Sie werden am Sonntagvormittag von Bohrgeräuschen geweckt. So passiert in einer Siedlung in Graz-Eggenberg – und nur einer von vielen Fällen, in denen der Nachbar die Ruhe des anderen stört. Wir wollen diesen Fall zum Anlass nehmen, um Ihnen zu zeigen, was Sie in so einem Fall machen können und wie gute Nachbarschaft trotzdem (oder gerade erst recht dadurch) gelingen kann.

„Als die Familie Y. in mein Haus einzog, habe ich sie im Rahmen des Projekts Hallo Nachbar begrüßt, und ihnen bei der Wohnungsübergabe das Willkommenssackerl überreicht. Einige Tage danach wurde ich am Wochenende durch Bohrgeräusche gestört, bin an deren Wohnungstür gegangen, und habe sie gebeten, dass Bohren einzustellen. Zuerst begann die Situation zu eskalieren, dann ist es uns doch gelungen, ruhig darüber zu sprechen. Die Familie hat mich in die Wohnung eingeladen, und wir haben bei einem Tee ein gutes Gespräch miteinander geführt. Ich kann sagen, dass die Situation ohne die vorangegangene Wohneinbegleitung mit Sicherheit an der Wohnungstür weiter eskaliert wäre.“

So endete die Situation aber noch friedlich bei einer Tasse Tee – und aus den Nachbarn sind heute sogar so etwas wie Freunde geworden. Aber worum geht es eigentlich bei einer Wohneinbegleitung? Das wollen wir in diesem Blogbeitrag vorstellen. Dahinter steckt nämlich ein besonderes Projekt mit einer besonderen Idee.

„Betrachte Konflikte immer als ein Aufeinanderprallen von Interessen, nicht von Menschen“ – die Idee von „Hallo Nachbar“

Die Stadt Graz verfügt über 10.500 Gemeindewohnungen, von denen knapp 5.000 in eigener Verwaltung stehen. Bei den restlichen Gemeindewohnungen handelt es sich um sogenannte Übertragungswohnbauen, die von vier gemeinnützigen Bauvereinigungen verwaltet werden: der ENW, der GGW, der ÖWG oder der GWS. In Gemeinde- und Übertragungswohnbauten treten, auch aufgrund der Vielfalt von Herkunft, Sprache, Kultur und des sozialen Status, Konflikte im Zusammenleben auf, deren Bearbeitung weit über den Zuständigkeitsbereich von Hausverwaltungen hinausgeht. Gründe für Konflikte liegen oft in der Überforderung der Beteiligten, mit den vielfältigen kulturellen und sozialen Bedürfnissen der Einzelnen umzugehen und Sprachbarrieren zu überwinden. Wesentliche Ursachen für die Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen und die hohe Verunsicherung stellen Brüche im Zusammenleben dar, die zwischen langjährigen und neuen BewohnerInnen, zwischen Haushalten mit und ohne Kinder, zwischen Jugendlichen und Älteren und zwischen langjährigen österreichischen BewohnerInnen und Personen mit Migrationshintergrund (hierbei speziell Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache) bestehen, wobei vor allem ÖsterreicherInnen das Zusammenleben negativ beurteilen. Seit der Öffnung der Gemeindewohnungen für sogenannte Konventionsflüchtliche oder Personen mit Aufenthaltstitel ist der Anteil an ausländischen bzw. eingebürgerten MitbewohnerInnen in diesen Siedlungen auf 30 – 50% gestiegen. Vor allem langjährige BewohnerInnen sind mit dieser raschen Veränderung bzw. den neuen Nachbarn überfordert. Als notwendiger Ansatzpunkt für Interventionen wird empfohlen, neue MieterInnen in der ersten Zeit zu begleiten und diese in die Hausordnung und informellen Regeln der Siedlungsgemeinschaft einzuführen.

So funktioniert „Hallo Nachbar“

Im Rahmen des Projekts „Hallo Nachbar“ soll genau das passieren: Eine interkulturelle Wohneinbegleitung durch Bewohnerinnen und Bewohner aus einer Siedlung, um die informellen Regeln für Neueinziehende sichtbar zu machen, die Orientierung im neuen Wohnumfeld bzw. in der umgebenden Infrastruktur zu erleichtern und ein rasches Kennenlernen der Nachbarinnen und Nachbarn zu ermöglichen. Denn bereits in der Zeit des Einzugs entstehen durch die anfallenden Arbeiten (z.B. Lärm durch Um- und Einbauten, Mülltrennung, Zufahrt etc.) Konflikte, die durch eine Wohneinbegleitung entschärft werden können. Das Projekt „Hallo Nachbar“ ist somit eine wichtige Maßnahme, um das Zusammenleben in ausgewählten Wohnhausanlagen der Stadt Graz zu verbessern.

Wie sieht die Wohneinbegleitung in der Praxis aus?

Gemeinsam mit eventuell vorhandenen Schlüsselpersonen übergeben die Mitarbeiterinnen des Friedensbüros ein Willkommenssackerl für neue BewohnerInnen – ab zwei Wochen nach dem Einzug wird versucht einen gemeinsamen Termin zu finden. Was ist in so einem Willkommenssackerl drinnen? Eine Mappe mit Informationen rund um die neue Wohnumgebung (zugeschnitten auf die Umgebung und den Gemeindebau), eine Einladung zu den Elternberatungsstellen, eine Hausordnung in der jeweiligen Sprache (sofern angegeben und verfügbar), soziale Informationen, ein Vorstellblatt sowie ein Abfalltrennblatt (auch hier in Deutsch und in einer anderen Sprache, wenn gewünscht), außerdem Hauspatschen, eine Broschüre zum Magistrat (alle Magistratsabteilungen auf einen Blick etc.), ein Stadtplan und eine „Hallo Nachbar“-Schokolade. Vor Ort besprechen wir die Mappe durch, bieten an, mit ihnen die Vorstellungsrunde zu absolvieren oder einen Termin dahingehend festzulegen oder auch das Blatt gemeinsam mit ihnen auszufüllen. Wir besprechen die Hausordnung mit den Ruhezeiten, wie man mit Konflikten umgeht – wo und wie man uns erreichen kann und das auch rechtzeitig, damit eine Situation nicht bereits eskaliert ist.

Das Projekt „Hallo Nachbar“ zeigt, dass Wohneinbegleitung die Gemeinschaft aktivieren kann, erfolgreich tätig zu werden. Wohneinbegleitung als sinnvolle Maßnahme im Siedlungsgefüge ist deshalb erfolgreich, weil die handelnden Personen (Schlüsselpersonen) Teil des Gemeinschaftsgefüges sind, als ExpertInnen im Wohnumfeld fungieren und als solche wahrgenommen werden. Deshalb sind wir stets auf der Suche nach Menschen, die sich in ihrer eigenen Siedlung als Ansprech- und Schlüsselperson engagieren möchten.

Sind Sie selbst gerade in eine neue Wohung eingezogen, haben neue NachbarInnen bekommen oder möchten sich als Schlüsselperson melden? Egal, ob frisch zugezogen oder alt eingesessen: Kontaktieren Sie uns. Zuständige Ansprechperson dafür ist Elisabeth Paar-Fürböck. Sie erreichen Sie unter 0043 (316) 872-2183, per email oder selbstverständlich auch über unser Kontaktformular auf diesem Blog. Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!

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Von: Jutta

5. Oktober 2017

Bild: Friedensbüro Graz

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