In Aristophanes Komödie „Lysistrate“ haben die Frauen Athens und Spartas die Nase voll vom Krieg, den ihre Männer führen, und dem Leiden, das sie damit verursachen. Kurzerhand tun sie sich zusammen und beschließen, ihren Männern fortan den Sex zu verweigern, bis diese endlich die Waffen niederlegen und Frieden schließen. Und siehe da: Ihr Plan geht auf. Schlussendlich geben die Männer den Forderungen ihrer Frauen nach und beenden den Krieg. Gewaltfreie Revolution, wie sie die Frauen aus Athen und Sparta in diesem Stück anstreben, funktioniert allerdings nicht nur in alten griechischen Komödien – auch in der Realität kann diese durchaus wirksam sein.

Nachdem ein Sexstreik allerdings nicht in allen Fällen anwendbar und zielführend ist, beispielsweise bei der Auflehnung gegen ein autoritäres Regime, wollen wir an dieser Stelle erst einmal definieren, was gewaltfreie Revolution denn eigentlich genau bedeutet. Hierfür benötigen wir zunächst den Begriff der gewaltfreien Aktion, der Grundlage der gewaltfreien Revolution.

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Als gewaltfreie Aktion bezeichnet man diejenigen politischen oder sozialen Widerstandsformen, die darauf verzichten, anderen Menschen gegenüber Gewalt anzuwenden. Die verschiedenen Formen der gewaltfreien Aktion kann man laut dem Politikwissenschaftler Gene Sharp in sechs Untergruppen klassifizieren: Gewaltfreier Protest und Überzeugung, soziale Nichtzusammenarbeit, politische Nichtzusammenarbeit, Boykottaktionen, Streikaktionen und gewaltfreie Intervention (also das gewaltfreie intervenieren einer Drittpartei). Ein besonders wichtiger Begriff bei der gewaltfreien Aktion ist außerdem auch der zivile Ungehorsam, also das bewusste Einsetzen von Methoden, die gesetzeswidrig sind, oder das Ignorieren von Gesetzen. Beispiele für gewaltfreie Aktionen sind beispielsweise Protestschreiben, Demonstrationen und Aufrufe zum Konsumentenboykott, aber auch kalkulierte Regelverletzungen und bestimmte Formen der Sachbeschädigung. Damit ist selbstverständlich nicht ziellose Sachbeschädigung wie das Einschlagen von Schaufenstern gemeint, sondern Aktionen mit symbolischem oder malerischem Wert, wie etwa die Zerstörung von Eigentum oder Farbaktionen.

Gewaltfreie Aktionen sind besonders dann wirksam, wenn sie nicht nur ein kurzfristiges, symbolisches Ziel haben, sondern vielmehr psychologische Effekte wie etwa die Empathie Außenstehender erreichen sollen. So ist es beispielsweise auf längere Zeit weniger dienlich, einen einzigen Bulldozer davon abzuhalten, ein Regenwaldgebiet abzuholzen, als es wäre, durch eine gewaltfreie Aktion Menschen dazu zu bewegen, eine starke Meinung gegen die Rodung des Regenwaldes zu bilden.

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Gewaltfreie Aktionen bedeuten jedoch nicht, dass auch die Gegenseite friedlich reagiert. Je nachdem, wie es um das Rechtssystem und die Regierung des Landes steht, in der eine gewaltfreie Aktion durchgeführt, kann es beispielsweise durchaus passieren, dass die Beteiligten mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen oder die staatlichen Kräfte sogar mit Gewalt auf den Widerstand reagieren.

Die gewaltfreie Aktion, wie vorher schon angekündigt, ist eine wichtige Voraussetzung für die gewaltfreie Revolution. Diese kann man als den Höhepunkt der gewaltfreien Aktion bezeichnen. Im Begriff der gewaltfreien Revolution werden zwei politik-theoretische Strömungen vereinigt, nämlich einerseits die pazifistische Tradition der Gewaltfreiheit und andererseits die sozialrevolutionäre Tradition der Arbeiterbewegung. Es werden also in der gewaltfreien Revolution Gewaltkritik und Staatskritik miteinander verbunden, was großes Potenzial für Veränderungen des Status quo birgt.

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Naja, denken sich jetzt wohl viele, gewaltfrei ist ja schön und gut, aber welcher Diktator wird schon wegen ein paar friedlichen Demonstranten einfach so all seine politische Macht abgeben? Tatsächlich ist aber die Chance, durch gewaltfreie Revolution eine Änderung des momentanen Zustandes herbeizuführen, maßgeblich höher, als dies bei der Anwendung von Gewalt der Fall ist. Gewaltfreie Kampagnen haben eine etwa 53-prozentige Wahrscheinlichkeit, erfolgreich zu sein, während dies bei Kampagnen mit Gewaltanwendung nur etwa 23 bis 26 Prozent sind. Immerhin zum Teil erfolgreich sind gewaltfreie Revolutionen mit ungefähr 20 Prozent, solche unter Anwendung von Gewalt hingegen nur in schlappen 10 Prozent aller Fälle. Selbstverständlich besteht auch die Chance, dass eine Kampagne ein kompletter Flop wird, dies ist bei solchen ohne Gewaltanwendung jedoch nur bei etwa 20 Prozent der Fall, während es bei solchen mit Gewaltanwendung doch ganze 60 Prozent sind.

Allein dies ist schon beeindruckend, doch noch eine weitere Sache ist sehr faszinierend an gewaltfreien Revolutionen: Es braucht nur einen kleinen Teil der Gesellschaft, um eine politische Wende zu veranlassen. Um genau zu sein, braucht es sogar nur 3,5 Prozent der Population eines Landes, die aktiv an den gewaltfreien Protesten teilnimmt, um nachhaltige Veränderungen zu erzielen. Es ist also offensichtlich auch als deutliche Minderheit möglich, hoch gesteckte Ziele zu erreichen.

In den nächsten Beiträgen werden wir uns mit einigen Beispielen gewaltfreier Revolution beschäftigen, die veranschaulichen sollen, wie erfolgreich diese tatsächlich sein kann.

Quellen:
http://lgbb.davbb.de/home/archiv/2018/heft-2/komik-komische-handlung-und-reinigung-des-lachens-in-aristophanes-lysistrate-teil-1
http://www.hellenicaworld.com/Greece/Literature/de/Lysistrata.html
https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/519224
https://www.pressenza.com/de/2017/02/gewaltfreie-aktionen-wie-und-warum-sie-funktionieren/
https://news.harvard.edu/gazette/story/2019/02/why-nonviolent-resistance-beats-violent-force-in-effecting-social-political-change/
https://www.psychologytoday.com/us/blog/sex-murder-and-the-meaning-life/201404/violent-versus-nonviolent-revolutions-which-way-wins
https://www.bbc.com/future/article/20190513-it-only-takes-35-of-people-to-change-the-world

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Von: Miriam

13. Januar 2022

Bild: Wilhelm Gunkel auf Unsplash

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