Ich kann mich noch erinnern, dass wir als Kinder den Wettstreit der besten Erklärung hatten. Die Frage „Warum ist der Himmel blau?“ zog eine wissenschaftlich halbwegs richtige Erläuterung meines großen Bruders genauso nach sich, wie die Feststellung, dass beim Streichen der Welt einfach nur mehr die blaue Farbe übriggeblieben war.

Was mir von diesen Spielen blieb, war das Bewusstsein, dass es für die Dinge des Lebens viele Erklärungen gibt, davon einige einfach phantasievoll, einige nicht widerlegbar und einige anscheinend richtig und wissenschaftlich argumentierbar. Aber jede dieser Erklärungen wurde akribisch hinterfragt überprüft und zumindest aufgrund ihrer Kreativität geschätzt.

Rückblickend erkennt man natürlich, wo man nicht genügend nachgeforscht oder nachgedacht hat, lächelt über die eigene Naivität und Ignoranz. Aber Fehler zu machen und daraus zu lernen, macht eben, so sagt man, das Menschsein aus, wichtiger sei es, im Diskurs zu bleiben und sich aktiv zu beteiligen.

Mein Schreckmoment war, als ich in einer Zeitung einen höhnischen Kommentar zu einem Wissenschaftler las. Es ging nicht darum, dass seine Ideen diskutiert wurden, sondern der Artikel war voll von Angriffen auf die Person. Es war für mich auch völlig egal, ob die Theorien dieses Menschen wahr oder falsch waren, mich empörten die respektlosen, persönlichen Angriffe und Unterstellungen gegenüber einer Person, die in ihrem Leben viel geleistet hatte. Zuerst erwartete ich Gegenstimmen oder eine Diskussion der Inhalte, aber ich musste erkennen, dass diese nicht folgen würden.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass nicht mehr der Wettstreit der Ideen und deren Diskussion im Vordergrund steht, sondern der Wettstreit der Meinungsmacht und die Unterdrückung kritischer Ansichten. Verlorengegangen ist die Wertschätzung der Ideen, die Freude an der Diskussion und das Bewusstsein, dass sich Erkenntnisse und Wahrheiten aus diesem Diskurs entwickeln.

Dies ist ein Plädoyer, sich Informationen aus unterschiedlichsten Quellen zu holen. Die Sichtweisen möglichst vieler Beteiligter und auch Außenstehender einzuholen und besonders denjenigen zuzuhören, die eine andere Sicht der Dinge vertreten, Theorien zu hinterfragen und das Hinterfragen auch bewusst zuzulassen und wertzuschätzen.

Das Problem unserer Zeit sind nicht die breit kommunizierten Meinungen, sondern die Gegenstimmen und -thesen, die ungehört bleiben, weil schon im Vorfeld deren Vertreter verächtlich gemacht oder aus der Öffentlichkeit verdrängt wurden.

Meinungspluralismus ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie, einer aufgeklärten Gesellschaft und, nicht zu vergessen, ein Menschenrecht. Wäre es deshalb nicht auch unsere Menschenpflicht, diesen zu fördern und auszuhalten?

 

Denkanstöße sind eine neue Schiene auf unserem Blog, die genau das sein sollen, nämlich eine Einladung zum Nachdenken, eigene Positionen zu überprüfen oder einfach nur neue Gedanken oder Sichtweisen zu hören.
Die Denkanstöße sind eigene Meinungen oder Gedanken der Verfasser und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit.

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Von: Jutta

13. März 2023

Bild: Petra auf Pixabay

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