Denkanstöße
Der komplexe Charakter der Identität
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Bis vor kurzem wusste ich noch nicht, was Geschlechtsdysphorie bedeutet. Mittlerweile ist jedoch das Thema der Transsexualität im Alltag angekommen. Hormonblocker, Hormontherapie, operative Eingriffe etc. werden diskutiert und auch, wann und wie jungen Menschen diese Themen nahegebracht werden sollen.
Diskussionen über die Gefahren der Therapien oder von Nicht-Therapien werden geführt und immer neue Wörter werden eingeführt, um Geschlecht oder Geschlechtszugehörigkeit zu definieren.
Sehr beunruhigend fand ich bei den Recherchen das Interview mit der Psychologin und Therapeutin Sara Stockton, die aus ihrer Praxis in den USA über eine Änderung in der Gruppe der Beratung-Suchenden von erwachsenen Männern zu weiblichen Teenagern berichtet und auch eine Verschiebung der Erwartung an eine Geschlechtsanpassung feststellt, hin zu Vorstellungen, die die medizinischen Möglichkeiten übersteigen. Sie kritisiert die vielen verwirrenden Informationen in sozialen Medien und plädiert für sorgsame Aufklärung mit besonderer Berücksichtigung der Pubertät.
Ich bin für die größtmögliche Freiheit des Individuums. Jeder und jede Erwachsene hat das Recht selbst zu bestimmen, wie er oder sie leben möchte und Kinder und Jugendliche haben das Recht auf weitgehend freie Entwicklung.
Faktum ist, dass Identität ein sehr komplexes Zusammenspiel von Gesellschaft, Selbstwahrnehmung und Körper mit all seinen Abläufen ist. In diesem komplexen Gefüge erscheint es mir als schwierig, dass der Körper immer mehr als beliebig formbares Spielfeld für die eigene Identität betrachtet wird. Hormontherapien und adaptive Eingriffe werden in der öffentlichen Diskussion teilweise betrachtet wie ein Legobaukasten, bei dem man immer wieder beliebig Formen zusammensetzen kann. Dass derartige Eingriffe in den Körper großteils irreversibel sind und bleibenden Einfluss auf das weitere Leben haben, wird m.E. nicht ausreichend diskutiert.
Die Körper- und Perfektionszentriertheit unserer Zeit tut dieser sensiblen Auseinandersetzung keinen guten Dienst. Junge Menschen, die das Gefühl haben, ihre Fotos überarbeiten zu müssen, um empfundene Mängel zu retuschieren, sind Ausdruck davon, dass etwas total schief läuft und es keine geeignete Unterstützung für sie gibt, mit den eigenen und äußeren Anforderungen gut umzugehen.
Was ich mir wirklich wünschen würde, wäre eine Gesellschaft, die zuallererst Menschen vermittelt, dass sie mit ihrem Körper und ihrer Seele in Ordnung und wunderbar sind. Eben weil Identität mit ihren Bestandteilen nicht beliebig formbar ist, wäre die Grundlage dafür eine grundsätzliche Annahme des Individuums mit seinen Anlagen und Entwicklungsmöglichkeiten.
Es wird dann noch immer Menschen geben, die sich in ihrem Körper nicht wohl fühlen, aber die Freiheit im Umgang mit dem eigenen Selbst wäre besser sichergestellt.
Quellen:
Interview in Englisch: https://www.youtube.com/watch?v=pCH-bUFR3WM