Das Phänomen des Titan-Tauchboots
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Es wird schwer sein, irgendjemanden mit Zugang zum Internet zu finden, an dem das Unglück des Tauchboots Titan vorbeigegangen ist. Ende Juni schien dieses immerhin alles zu sein, was die Menschen online interessierte – und dabei auch so einiges an Kommentaren hervorrief, die sich viele zuvor vielleicht nur gedacht, jedoch niemals auf Social Media öffentlich gemacht hätten.
Um kurz das Wichtigste zusammenzufassen: Am 17. Juni startete das Tauchboot Titan seinen Tauchgang zum Wrack der Titanic, für den die Passagiere 250 000$ bezahlt hatten. Nur etwa eine Stunde und fünfundvierzig Minuten nach Start brach die Kommunikation mit dem Titan jedoch ab und es war unklar, was genau geschehen war. Als das Tauchboot zur vorgesehenen Zeit nicht wieder auftauchte, wurden die Behörden informiert und eine groß angelegte, mehrere Tage andauernde Suche gestartet. Wie sich später herausstellte, war das Tauchboot am 18. Juni implodiert, da der Druckkörper des Boots versagt hatte, was zum sofortigen Tod aller Insassen geführt hatte.
Tagelang waren Updates zum Titan-Tauchboot praktisch überall: Im Fernsehen, in den (Online-)Zeitungen, auf Social Media – man konnte ihnen eigentlich gar nicht entfliehen. Was dabei vor allem sehr interessant war, war die Richtung, die die Meinungen zu dem Vorfall einschlugen. Neben den üblichen Posts, die Sorge um die Vermissten kundtaten, gab es nämlich auch reichlich Posts, die (meist in der Form von Memes) sich stattdessen vielmehr lustig über sie machten. Je mehr Informationen über das Tauchboot bekannt wurden – beispielsweise, dass es anhand eines Videospielkontrollers gesteuert wurde und auch zuvor schon Probleme mit der Kommunikation an Bord aufgetreten waren –, desto größer wurde die Schadenfreude über das zu diesem Zeitpunkt bloß vermutete Unglück. Einige Leute starteten sogar Countdowns zur vermuteten Zeit, die den Insassen aufgrund des vorhandenen Sauerstoffs noch blieb, und hofften sogar darauf, dass das Titan-Boot nicht schon vorher gefunden wurde. Auch jetzt, nachdem das Schicksal des Tauchboots bereits bekannt geworden ist, ist es mit dem dunklen Humor noch lange nicht vorbei. So schlagen zum Beispiel viele Leute vor, dass sich als nächstes ein paar Milliardäre auf einen ähnlich unsicheren Vergnügungstrip ins All begeben sollten oder der Mariannengraben zur neuen Urlaubsdestination für Superreiche werden sollte.
Woher kommt jedoch diese makabre Freude am Unglück des Titan-Tauchboots? Nun, zunächst einmal unterschied die Passagiere eines sehr vom Großteil der Weltbevölkerung: Sie hatten 250 000$ herumliegen, die sie ohne Probleme für einen Tauchgang zur Titanic ausgeben konnten. Und nicht nur für irgendeinen Tauchgang – für einen Tauchgang, der bereits im Vorhinein so einige absehbare Risiken mit sich brachte, welche sie dennoch nicht davon abhielt, diesen anzutreten. Es wurde jedoch nicht nur für den gefährlichen Tauchgang selbst unheimlich viel Geld ausgegeben, auch die Suche nach den – sehr wohlhabenden – Insassen des Titans war sehr kostspielig. Vielen Menschen stieß es äußerst sauer auf, dass für den Leichtsinn der Passagiere nun auch noch öffentliche Gelder angezapft wurden und, man kann es kaum anders formulieren, gönnten diesen deswegen ihren Tod. Dennoch ist die Häme, die viele vorwiegend online gezeigt haben, eher ein Zeichen der Verrohung und Empathielosigkeit anstatt eine Form der Gesellschaftskritik, die man durchaus anders äußern hätte können.
Das Unglück des Titan-Tauchboots brachte also nicht unbedingt überraschend finstere Seiten der Menschen zutage, sondern zeigte auch Reaktionen, die auf dem riesigen Spalt zwischen den Superreichen und dem Rest der Weltbevölkerung beruhen, den erstere nicht zu schließen versuchen. Immerhin besitzt nur ein Prozent der Menschen beinahe die Hälfte des gesamten Reichtums auf der Welt, welchen sie niemals innerhalb eines Lebens aufbrauchen könnten.
Quellen:
https://www.bbc.com/news/world-us-canada-65953872
https://www.independent.co.uk/news/world/americas/titanic-tourist-sub-missing-oceangate-implosion-b2371067.html
https://www.euronews.com/culture/2023/06/25/why-the-titan-submarine-disappearance-led-to-public-schadenfreude
https://www.visualcapitalist.com/distribution-of-global-wealth-chart/