Als Nachbarn kennengelernt, als Freunde ausgezogen. So könnte man diese nachbarschaftliche Erfolgsgeschichte von Menschen zusammenfassen, die heute nicht mehr räumlich, sondern nur mehr freundschaftlich miteinander verbunden sind.

Doch wie hat das alles begonnen? Vor ca. 18 Jahren waren die Wohnungen dieses Grazer Mehrparteienhauses vor allem bei Singles und Pärchen attraktiv, weil sie aufgrund einer Förderung des Landes im Vergleich zu anderen eher günstig und durch die Nähe zur Innenstadt auch sehr zentral gelegen waren. Eine Besonderheit, die auffällt: auch wenn sich die meisten Bewohner:innen bei Einzug noch nicht kannten, so haben die meisten von ihnen durch persönliche Kontakte im sozialen Umfeld von der Wohnung erfahren. „Ich habe die Wohnung von einer ehemaligen Studienkollegin übernommen,“ sagt Martin, der bis 2019 die rund 50m2 große Wohnung mit seiner Lebensgefährtin teilte. Durch das lose Kontaktnetzwerk zwischen einigen der Mieter:innen  zu ihren Nachmieter:innen, ergeben sich Nachbarschaften zwischen Menschen, die in Hinblick auf Altersstrukturen und Lebensabschnitte sehr ähnlich sind. Die Haushalte waren überwiegend kinderlos, viele haben nach einem Studium gerade erst begonnen, beruflich Fuß zu fassen. Allerdings, so erzählt Katharina, „teilen wir nicht dieselben privaten und freizeitlichen Interessen“.

Die Entscheidung, eine aktive Nachbarschaft zu leben, war vielleicht weniger bewusst, als vielmehr ein indirektes Bekenntnis dazu, welches die Architektur der Immobilie nahelegte. Über ein geschlossenes Stiegenhaus gelangt man in einen Atriuminnenhof. Bei manchen Bewohner:innen ist das Schlafzimmerfenster in diesen Innenhof ausgerichtet. Die allermeisten von ihnen haben zumindest ein Fenster oder eine Terrassentüre in Richtung der Allgemeinflächen. Lässt man seine Jalousien offen, gehen der private und halb-öffentliche Raum ineinander über. Die eigene Wohnung wird von außen einsichtig, von innen ergibt sich das Gefühl der Raumerweiterung. Ist die Bereitschaft für spontane Begegnungen mit den Nachbar:innen da, so bietet sich der Innenhof an. Und dieser wird auch genutzt: so entstehen immer wieder gemeinsame Treffen nach der Arbeit oder an Wochenenden.

Wer das nicht möchte, setzt sichtbare Zeichen: die Wohnungstüre bleibt geschlossen, die Jalousien sind unten. Abgrenzung und Privatheit muss in einer ansonsten für Nähe aufgeschlossenen Gemeinschaft gewährleistet sein. Dazu meint Martin: „wenn der Nachbar, dessen Schlafzimmer innenhofseitig gelegen ist, keinen Schlaf findet, weil wir zu laut sind, gibt er uns Bescheid und bittet uns in die Wohnungen hinein zu gehen. Und da sieht auch keiner ein Problem darin.“

Der soziale Austausch beschränkt sich aber nicht nur innerhalb des Hauses. Es hat sich ein Stammtisch in einem nahegelegenen Lokal etabliert zu dem einmal wöchentlich kommen konnte, wer gerade Lust und Zeit hat. Auch größere gemeinschaftliche Aktivitäten werden gemacht: eine Grenzwanderung in die Südsteiermark, Skifahren oder Rodeln.

Das besonders Schätzenswerte im Alltag ist die Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfeleistung. Egal, ob man den Technikprofi darum bittet, das Fahrrad zu reparieren oder bei der Nachbarin nebenan um Milch und Eier fragt – zu wissen, dass jemand da ist, stellt eine enorme Ressource dar.

Mittlerweile ist diese Nachbarschaftskonstellation Geschichte. Die meisten der Bewohner:innen sind auf der Suche nach einem größeren Wohnraum ausgezogen, haben Familien gegründet oder die Stadt verlassen. Was geblieben ist, ist die Freundschaft. Und auch wenn der Stammtisch, aufgrund der stark reduzierten Treffen seinen Namen nicht mehr verdient, sind die noch verbliebenen organisierten Zusammenkünfte umso wertvoller. Damit ist das Kollektiv mit einem Koffer nachhaltiger Erfahrungen aus der Wohnung ausgezogen. Ein Koffer, der darauf wartet sich in zwischenmenschlichen Begegnungen und Beziehungen immer wieder neu zu öffnen.

 

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Von: Anna

17. April 2025

Bild: privat

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