Sie muss nicht immer groß, laut sein. Auf den Titelseiten der Tageszeitungen erscheinen oder aber mit gewaltbedrohten Menschen zu tun haben. Zivilcourage kann auch im Kleinen, eher Unscheinbaren stattfinden. Einfache Gesten, das Unterstützen von Menschen, die gerade in dem Moment auf Hilfe angewiesen sind – auch das ist Zivilcourage.

Vier Mal Geschichte. Vier Mal kleiner Mut.
Es ist Anfang Oktober. Studienbeginn. In dem großen Vorlesungssaal wird es still. Während manche noch nach Laptop, Papier und Stift kramen, beginnt der Vortragende ganz unten, hinter dem Pult mit seinem Vortrag. Nach Folie vier der inhaltsastigen Präsentation erhebt sich zögernd eine Hand aus der Menge. Der Professor scheint zu beschäftigt, um sie zu bemerken, ignoriert den nach oben gestreckten Arm noch eine ganze Weile. Dann, endlich, blickt er auf, überdreht kaum merkbar die Augen, bevor er sich mit theatralischem Seufzer der Frage annimmt. Als diese ausgesprochen ist, verzieht er die Miene, schnalzt unüberhörbar mit der Zunge bevor er antwortet. Es wäre das dümmste, das ihm je zu Ohren gekommen sei und er verstehe nicht, wie es jemand mit derart wenig Verstand auf die Universität geschafft haben konnte. Er wäre entsetzt und würde die Frage, die im Übrigen wohl niemand sonst habe stellen müssen, nun ignorieren, die Vorlesung fortsetzen. Ein paar Studierende kichern, andere blicken betreten zu Boden. Aber niemand greift ein. Da ist keine, die aufsteht, den Professor um Mäßigung bittet, keiner, der die Stimme erhebt. Niemand macht den Mund auf.

Eine Wursttheke in einem Lebensmittelladen. Hier gibt es noch keine Markerl, keine Nummer, die man zieht, um der Reihe nach bedient zu werden. Hier ist alles noch wie früher. Vielen Menschen stehen an, warten. Die Einen geduldig, die anderen schon nervöser. Inmitten der Menge ein kleines Kind. Es reicht kaum zur Vitrine hinauf, steht schon eine ganze Weile da, versucht sich händefuchtelnd, mit schüchternem Hallo“ Gehör zu verschaffen. Doch niemand schenkt ihm Beachtung. Die Einen blicken kurz hinunter, schieben sich dann aber doch vor. Andere tun so, als hätten sie es nicht gesehen.

Irgendwann zwischen Freitag und Samstag. Die typische Partyzeit eben. Der Nachtbus ist brechend voll. Ein paar Betrunkene sind auf ihren Sitzen zusammengesunken, eine Gruppe Jungs, lässt den Abend lautstark Revue passieren, während einige andere still schweigend aus dem Fenster blicken. Mit einem Mal erregt ein junger Mann unbeabsichtigt die Aufmerksamkeit der grölenden Truppe. Gegenseitig machen sie sich auf ihn aufmerksam, lachen, nicken verächtlich in seine Richtung. “Schaut’s euch deeeen an … !”, “Wie der ausschaut …!” “A so a Schwuchtl …!”, bricht es aus ihnen heraus. Die Ausdrücke, die Beschimpfungen werden derber, immer tiefer, niveauloser. Der junge Mann versucht sich wegzudrehen, aus dem Sichtfeld der Gruppe zu entschwinden. Doch es gelingt ihm nicht. Niemand außer ihm scheint das Gepöble überhaupt wahrzunehmen. Niemanden scheint es auch nur zu interessieren, dass eine Gruppe Jugendlicher gerade auf einen Einzelnen losgeht.

Der Bus bleibt an der Ersatzhaltestelle stehen. Ringsherum: Baustelle. Einige Menschen steigen aus, ein paar wenige ein. Die meisten aber warten auf eine andere Linie, stehen da, rauchen, beobachten eine Frau, die soeben aus Bus gestiegen war. Sie hält einen einen Blindenstock in der Hand, die gelbe Schleife mit den drei schwarzen Punkten gut sichtbar um den linken Arm gewickelt. Erst geht sie rechts, bleibt nach ein paar Metern aber stehen, tastet, dreht sich um, geht nach links. Sie scheint orientierungslos. Die Menschen an der Haltestelle verfolgen das Geschehen mit zunehmender Aufmerksamkeit. Fast so, als wäre es ein Kabarett, für das sie soeben gratis Karten bekommen hätten. Niemand von ihnen steht auf oder geht hin. Sie alle schauen nur, beobachten neugierig eine Frau, die offensichtlich die Orientierung verloren hat.

Was wäre, wenn wir, du, ich in einer solchen Situation steckten. Jemand würde uns verbal zur sprichwörtlichen Schnecke machen, in einer brenzligen Situation im Stich lassen, nicht eingreifen, uns nicht zur Hilfe kommen. Was würden wir uns dann wünschen? Dass jemand etwas sagt? Sich vielleicht zu uns setzt und damit Solidarität zeigt – ich bin für dich da, ich lass dich nicht alleine! Vielleicht brauchen wir als Opfer auch manchmal einfach jemanden, der potentielle Angreifende ablenkt, mit einer Frage aus dem Konzept bringt oder aber einfach nur da ist. Die Lebensmittel aufhebt, wenn das Sackerl reißt und sich alle Lebensmittel auf der Straße verteilen. Wenn wir überhört werden und jemanden brauchen, der auch die ganz leisen Stimmen wahrnimmt. Wenn wir uns verlaufen haben und nicht weiter wissen. Vielleicht wünschen wir uns hin und wieder auch einfach nur Menschen, die hinschauen, aufmerksam sind!

Weiterführende Links
Brenzlige Situationen abkühlen – feel-ok.at

Leave A Comment

Von: Biene

30. Juli 2018

Bild: Grafik: Christina Hauszer

Weitere Beiträge zum Thema:

Blog abonnieren

Loading

Wir informieren Sie, wenn ein neuer Blogbeitrag erscheint.