Lend
… und ein paar Gedanken zum Gedenken
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Stolpern!? Kennen Sie sicher. Man schreitet gedankenverloren dahin, nimmt vielleicht etwas aus dem Augenwinkel wahr, aber nicht ernst und findet sich plötzlich mit Armen und Beinen rudernd wieder. Bestenfalls stürzt man nicht, sondern hält kurz inne, versucht das Herzrasen wieder in den Griff zu bekommen und überlegt, was um alles in der Welt das gerade war. Manchmal beschäftigt einen so ein Stolpern aber auch länger. Und genau das ist die Idee hinter den …
Stolpersteinen.
Es handelt sich dabei um Handflächengroße goldene Platten, die in den Gehsteig eingelassen werden, und auf denen der Text “Hier wohnte …. ” und der Namen, das Geburts- und das Sterbedatum, sowie der Sterbeort dieser Person eingraviert sind. Der deutsche Künstler Gunter Demnig, Initiator dieser Idee eines dezentralen Mahnmals, um den Opfern des Nazi-Regimes zu gedenken, zitiert den Talmud „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Seit 2009 verlegt er an die 50.000 Stolpersteine in 1265 Orten in Deutschland und 21 Ländern Europas.
Darüber hat Daniela Grabe, Wirtschaftsinformatikerin, Germanistin und Historikerin – und begeisterte Lendbewohnerin vor einigen Jahren in der Zeitung gelesen, sich von der Idee berühren lassen und die Initiative ergriffen.
Der eigens dafür gegründete Verein für Gedenkkultur hat im Juli 2013 das Projekt Stolpersteine erstmals auch in Graz umgesetzt. Ein Projekt, mit dem an das Leben jener Menschen erinnert wird, die im Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben, in den Suizid getrieben worden sind oder von „Arisierungs“-Enteignungen betroffen waren.
Im Vorfeld werden gemeinsam mit den verschiedensten Organisationen wie z.B. jüdische Kultusgemeinde, RosaLila PantherInnen, diverse Opferverbände, … Schicksale von jenen Menschen recherchiert, derer gedacht werden soll.
“Dabei wird sowohl jüdischer Opfer gedacht, als auch jener Menschen, die Opfer politischer, religiöser, ethnischer Verfolgung waren, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ermordet wurden, wegen Verweigerung des Kriegsdienstes oder weil ihr Leben als „unwert“ galt (sogenannte „Euthanasie“).” Ein Beispiel für die letzte Gruppe ist der Gedenkstein für Klementine Narodoslavsky am Südtirolerplatz 10.
Aber wieder zurück zur “Stolper-Idee”: in den Gehsteig eingelassen, dezent und unaufdringlich, erinnern diese kleinen Gedenktafeln an eine Zeit, die mitunter die schlimmsten Seiten der Menschheit hervorgekehrt hat. Sie dienen damit nicht dem tatsächlichen sondern eher dem gedanklichen Stolpern. Man möge innehalten und zumindest einen kurzen Moment an jene Menschen denken, die in Folge dieses grausamen Regimes gestorben sind. Daniela Grabe beschreibt, dass sie zuerst das Bedürfnis verspürte, für die Generation der Opfer und deren unmittelbarer Nachkommen ein Erinnern zu schaffen, aber schnell erkennt, dass es für die junge Generation von heute ebenso immens wichtig ist, die Geschehnisse von damals zu kennen und zu verstehen. Und verstanden wird viel leichter, wenn es einen persönlichen Zugang gibt und persönliche Betroffenheit erzeugt wird.
Daniela sieht ihre Arbeit rund um die Stolpersteine und das Gedenken an die Opfer als eines der wichtigsten und bedeutsamsten Dinge, die sie in ihrem Leben gemacht hat.
Eine ganz wesentliche Motivation sind aber auch die Angehörigen der Opfer, die teilweise aus der ganzen Welt zur Stolper-Stein-Verlegung anreisen. So z.B. die Überlebenden und Nachkommen der Familie Blüh, die 2016 zur Verlegung von Stolpersteinen aus Chile und den USA nach Graz kommen. Es geht dabei nicht nur um eine gesellschaftliche Anerkennung des Leids der Verstorbenen und eine Ehrerbietung, sondern für viele Angehörige ist das ein würdevoller Abschluss, gerade wenn zB. das Schicksal dieses Menschen ungewiss ist bzw. es kein Grab gibt, ein endlich-Loslassen-Können. So kommt es zu zahlreichen berührenden, traurigen aber auch schönen Erlebnissen.
Für ihr Engagement in Sachen Stolpersteine wird Daniela Grabe und dem Verein für Gedenkkultur 2017 der Menschenrechtspreis des Landes Steiermark verliehen.
Dieses Engagement rund um die Stolpersteine und die Geschichten der Menschen dahinter haben auch Danielas Blick auf die Stadt, den Bezirk, die Straßen verändert, sie sind ihr persönlicher geworden. So auch die Annenstraße, die sie mir als ein Lieblingsplatzerl im Bezirk Lend nennt. An ihr schätzt sie die Vielfalt und verteidigt sie vor dem Vorurteil, es wären dort eh alles nur Billiggeschäfte und Handyshops angesiedelt. Schließlich handle es sich dabei auch um Gewerbetreibende und Kultureinrichtungen. Der Annenstraße – eigentlich eine Straße, die am Reißbrett entstanden ist, kerzengerade vom Bahnhof in die Stadt hinein – fällt genau aus diesem Grund die Bedeutung einer Lebensader für die Stadt zu.
Aber für die begeisterte Lendbewohnerin – die Wohnungssuche war im Bezirk Lend erfolgreich, weil Liebe auf den ersten Blick!! – und Mutter von Zwillingen gibt es noch andere Lieblingsplatzerln. So nutzt Daniela die Murpromenade für Spaziergänge mit den Kindern oder geht mit ihnen in den Volksgarten.
Dieses grüne Fleckchen im Bezirk Lend entsteht im 19. Jahrhundert durch eine Bürgerinitiative als Alternative zum Stadtpark, weil sich die Menschen dagegen wehren, dass die Stadt alles mit sog. Arbeiterwohnungen zubaut. Einen Aufschwung erfährt der Park vor einigen Jahren, als begonnen wird, ihn hübscher zu bepflanzen. Heute polarisiert er, sind doch die einzelnen NutzerInnengruppen sehr unterschiedlich.
Davon kann auch Will Eyawo, Geschäftsführer des MigrantInnenbeirates und selbst Lendbewohner mit Herz und Seele, ein Lied singen. Mit seinem Sohn war er oft und gerne im Volksgarten, im Winter zum Bobfahren, im Sommer zum Kicken. Der Sohn ist mittlerweile erwachsen, Will geht trotzdem noch gern durch den Volksgarten und beschreibt das dort vertretene Publikum sehr vielfältig:
Junge Menschen, die Bewegung, Sport und Spiel suchen (z.B. aus den nahen Schulen), ältere Menschen, die den Park zum Rasten, Frischluft- und Sonnetanken nutzen, Menschen, welche die Anlage für ihre Geschäfte mit verbotenen Substanzen missbrauchen und Menschen, die den Park einfach als kleine Oase zwischen dem Häusermeer wahrnehmen.
Will sorgt auch immer wieder für Überraschungsmomente, wenn er – selbst aus Nigeria stammend – auf das Pauschalurteil, im Lend seien alle dunkelhäutigen Männer ganz sicher Drogendealer, mit der Aussage reagiert, dass er selber dort wohne, und das sogar sehr gerne und sich außerdem auch noch sicher fühle.
Vor allem schätzt er an seinem Heimatbezirk, in dem er nun schon mehr als 20 Jahre wohnt, die Vielfalt: an Geschäften (Telefonshops, Reisebüros, …), an Lokalen (Rondo, Omoka, Ceylon Curry, …), an Kulturen und Initiativen/Vereinen bzw. professionellen Sozialeinrichtungen (Danaida, Jukus, …).
Von: Heidi
15. April 2019
Bild: Andrea Penz
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