Waltendorf
… Fische im Keller, Nobelpreisträger
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Bei einer Tour durch Waltendorf oder in Gesprächen mit WaltendorferInnen NICHT früher oder später über das Mehrgenerationenhaus zu „stolpern“, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und nachdem diese Einrichtung im Laufe der Jahre zu einem gut besuchten und geliebten Ort der Begegnung geworden ist, treffe ich mich mit jener Person, die ganz maßgeblich dafür verantwortlich ist.
Frau Karin Steffen bezeichnet sich selbst als Waltendorferin mit „Auslandserfahrung“: als Kleinkind in Mariagrün, nach dem Krieg zur Oma in die Klosterwiesgasse, dann 3 Jahre am Kaiser-Josef-Platz und schlußendlich 1968 nach Waltendorf.
Einen interessanten Einblick gewährt mir die dreifache Mutter in ihren damaligen Arbeitsalltag, den sie in den 60er Jahren als Reporterin in der Lokalredaktion der Kleinen Zeitung verbracht hat
. Man stelle sich folgende Situation vor: Königin Elisabeth beehrt uns mit einem Besuch, der Prinzgemahl ist auch dabei und ganz Steiermark in heller Aufregung. Für die Fahrt vom Flughafen nach Graz werden sogar extra Brücken erneuert, das Gestüt Piber wird besucht und selbstverständlich Graz. Der Anspruch einer Tageszeitung ist natürlich eine aktuelle Berichterstattung und so werden Frau Steffen und sämtliche Ihrer KollegInnen vom damaligen Chefredakteur Fritz Csoklich gleichmäßig auf alle potentiell interessanten Örtlichkeiten verteilt. So weit, so gut und nachvollziehbar.
Man stelle sich weiters vor, dass der Chefredakteur zu jeder Zeit auf dem Stand der Dinge sein und am besten schon VOR einem etwaigen Ereignis selbiges beschrieben haben möchte. Frau Steffen ist bei den Stallungen in Piber eingesetzt und hofft auf etwas Spektakuläres, quasi eine Sensation. Sie erzählt, „zu einer solchen wird sogar, wenn ein Pferd mit dem Schweif wachelt, Hauptsache die Queen sitzt in der Kutsche“. Unnötig zu erwähnen, dass alle Meldungen sofort beim Chefredakteur landen müssen.
… so und jetzt kommts: das alles ohne Handy und Internet!
Und auch wenn Frau Steffen diesen zwar geliebten, aber doch auch sehr stressigen Job aufgibt, ist sie dem Schreiben treu geblieben, wie man am Newsletter des Mehrgenerationenhauses erkennen kann.
Zurück also zur Entstehung des Mehrgenerationenhauses. Bei der langsam reifenden Idee so etwas zu schaffen, haben gewisse Umstände eine bedeutende Rolle gespielt. So seien die Aktivitäten des Schutzvereins Ruckerlberg und Umgebung genannt. Oder die Tatsache, dass das Bezirksamt Waltendorf, wie viele andere kleine Bezirksämter auch, zugunsten größerer Servicestellen, 2009 geschlossen werden soll, was die WaltendorferInnen auf den Plan ruft. Der für das Gebäude erreichte Denkmalschutz verhindert vorerst zumindest den Abriss von selbigem, gleichzeitig war aber allen klar, dass dieses Haus ein öffentliches und damit offen für alle, bleiben müsse.
Frau Steffen hat damals sogar schon den Begriff „Mehrgenerationenhaus“ im Kopf und macht das, was man halt so macht mit neuen Ideen. Man googelt sie und lässt sich überraschen. Und überrascht ist Frau Steffen allemal, präsentiert Google doch zahlreiche Treffer zu diesem Begriff. Aber die Enttäuschung weicht bald einer Erleichterung und Neugierde, als Frau Steffen entdeckt, dass alle Treffer mit „.de“ enden. Mit der Gründerin des Mehrgenerationenhauses in München ist sie noch heute in freundschaftlichem Kontakt.
Das Mehrgenerationenhaus (MGH) macht seinen Namen zum Programm. Da stossen manchmal verschiedene Generationen aufeinander, so etwa im Erzählcafe, in dem es dann z.B. um Geschichten von Pferdefuhrwerken geht, die riesige Eisblöcke aus der Gegend der heutigen Eisteich(!)siedlung in die Geschäfte zustellen. Oder um das Gasthaus in der Waltendorferstraße, dessen Keller vom Hochwasser führenden Annabach derart geflutet wird, dass sich sogar ein paar Fische da hinein verirren. Lustig, dass genau in diesem Gebäude heute das Fischgeschäft Sofisch ist.
Oder es treffen sich Menschen der gleichen Generation bei einer Veranstaltung und entdecken, dass man doch gemeinsam zum Chor gehen, Kindergewand tauschen oder eine Lerngemeinschaft gründen könnte.
Frau Steffen kann von vielen, vielen positiven Rückmeldungen erzählen, die zeigen, dass auch die weiteren Deutungen des Kürzels MGH durchaus ihre Berechtigung haben: Mir Gefällts Hier oder Mit Ganzem Herzen.
Das Mehrgenerationenhaus spielt natürlich auch bei meiner Frage nach Frau Steffens Lieblingsplatzerln eine Rolle. Sie verspüre, so erzählt sie, das Gefühl der Freude und Dankbarkeit, wenn sie in ihrem Büro im MGH sitze und draußen viel Lärm und Geschäftigkeit wahrnehme. Aber auch ihr Balkon belegt im Ranking der Lieblingsplatzerln einen der vordersten Plätze, hat man von ihm doch einen wunderschönen Blick über Graz.
Ach ja: und Nobelpreisträger Handke lebte während seines Studiums an der Grazer Universität in Waltendorf in Untermiete.
Von: Heidi
28. Oktober 2019
Bild: Schloss Lustbühel, Lithographie von Joseph Franz Kaiser um 1830
„50 shades of Graz“ oder „wie ich meine Heimatstadt neu entdecke“
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Liebe Frau Bassin,
Ich habe mich sehr über Ihren Artikel zum Thema MGH Waltendorf gefreut und… ja… Frau Steffen gebührt aller Lob und noch mehr Bewunderung, war sie doch schon in den 70ern, als sie dieses Projekt zu stemmen begann und auch in den kommenden Jahren nie aufhörte, harte Bretter zu bohren, wenn es um das Haus ging. Sie ist großartig und hat mich gleich in der Gründungsphase ohne Schrecken engagiert, in ihrem Hause als Vorleserin aufzutreten … ja, und das habe ich dann auch 5 Jahre lang pro Monat 1x gemacht – erstaunlich, dass ihr alle meine Themen auch umgehend gefallen haben und wir einander großartig vertrauten – sie mir, dass ich auch immer kam … ich ihr, dass ich alles bringen konnte – sogar eine Lesung über den Polizeialltag in Waltendorf – mit zwei Exekutivbeamten des Standortes Waltendorf. Es kamen über 50 Zuhörer – zugegeben, meine erfolgreichste Sache – aber noch erfolgreicher, hoffe ich, waren meine kilometerlangen Märsche, um meine Plakate aufzuhängen, die natürlich die Menschen neugierig gemacht haben und es hat mich jedesmal so gefreut, wenn nach meinen Lesungen ein Yogakurs, ein Sprachkurs, ein Gitarrenkurs oder Kochkurs im MGH zustande kam. Ich wollte unbedingt, dass Karin Steffens Haus wuchs. Heute arbeite ich wieder in meinem Beruf in der Buchhandlung Moser und das Vorlese-Projekt ging an Elisabeth Jursa weiter, Frau Steffen kann sich ein Haus ohne Literatur nicht vorstellen – daher auch die Bücherzelle und die Bibliothek. Kunst und Kultur sind angstfreie Innenräume und Karin war es immer wichtig diese Räume zu schaffen. Liebe Karin, mögest du das Haus ewig weiterführen und möge es in Graz Schule machen.
Liebe Frau Mitterhauser-Dubian!
Danke für Ihren ausführlichen und positiven Kommentar. Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass Frau Steffen eine tolle Arbeit leistet. Aber ich bin mir sicher, Frau Steffen würde mir zustimmen, dass ein Projekt wie das MGH nur „lebt“, weil sich viele Menschen – so wie Sie – dafür einsetzen und ihre Ideen und ihre Freizeit dafür hergeben. Vielen Dank!!!!
Liebe Frau Bassin, ich gebe Ihnen vollkommen recht, natürlich lebt das Haus von engagierten Menschen. Aber was wäre das MGH ohne seine Nutzerinnen und Nutzer, die das Haus erst beleben und dem Engagement Sinn und Bestätigung verleihen.
Liebe Frau Steffen!
Danke für Ihren Kommentar, ich seh das genauso. Ich glaube, das bedingt sich sogar gegenseitig: einerseits geht jeder Mensch gerne dorthin, wo er spürt, dass er willkommen ist und wo versucht wird, auf seine Bedürfnisse einzugehen. Auf der anderen Seite ist es eine große Motivation zum Mitgestalten, Mitarbeiten, Mittun, wenn man merkt, dass das, was man tut, gut ankommt.
Danke dafür!