Meinen nächsten Spaziergang durch den Bezirk Liebenau erlebe ich aus einem für mich noch ganz ungewohnten Blickwinkel: ich führe unseren neuen Hund aus.

Der dabei möglicherweise entstehende Eindruck, dass – umgekehrt – eher ICH vom Hund ausgeführt werde, ist der Tatsache geschuldet, dass es sich dabei um einen Welpen handelt, an dessen Erziehung wir noch arbeiten.

So spazieren wir also, noch im Oktober, der Mur entlang und geniessen die neu entstandenen, wassernahen Wege und Plätze. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Nähe zum Fluss in den heißen Monaten zu einer angenehmen Atmosphäre beiträgt. Da und dort müssen die frisch gepflanzten Bäume noch anwachsen, um irgendwann einmal ausreichend Schatten zu spenden.

Auch wenn wir jahreszeitlich und somit temperaturtechnisch gerade weit davon entfernt sind, sei es doch erwähnt: das ungebremste Schwimmvergnügen für die Vierbeiner ist – so habe ich mich bei der Abteilung Grünraum und Gewässer erkundigt – in der Mur leider nicht erlaubt. Hauptgrund ist die auch im Wasser bestehende Leinenpflicht. Zu bedenken wäre zusätzlich, ob der jeweilige Hund gegen die doch recht heftige, unterirdische Strömung ankommt bzw. wie das Tier auf die Wasserqualität reagiert.

Aber zurück auf festen Boden: mein Spaziergang hat auch noch einen anderen Hintergrund. Ich mache bei einem sog. Audiowalk mit. Im Rahmen eines Projektes zum Kulturjahr 2020 ermöglicht das Konzept von Flora Schausberger und Jan Zischka einen Perpsektivenwechsel der besonderen Art. Ausgerüstet mit einem Kopfhörer und einem dazugehörigen Kastl – sprich einem MP3 Player – spaziert man den Anweisungen folgend durch oder besser rund um die Grünangersiedlung und erfährt Interessantes aus der Geschichte dieser Gegend von Graz.

“Was lässt sich sehen, wenn man genau hinhört und was lässt sich hören, wenn man genau hinsieht?” Dieser Satz der Initiator*innen dieses Projektes hat es in sich. Speziell in dieser Gegend von Graz, ist es nicht nur interessant, was man alles sieht sondern vielmehr, was man alles nicht (mehr) sieht. Steht doch die Grünangersiedlung auf dem Gelände des “Lager V” alias “Lager Liebenau”, einem riesigen Zwangsarbeitslager während des II. Weltkriegs. Dieser unrühmliche Teil der Grazer Geschichte wird in letzter Zeit im wahrsten Sinne des Wortes wieder ausgegraben – in den Großbaustellen des Murkraftwerkes bzw. des anstehenden Siedlungsneubaus.

Seit meinem Spaziergang im Oktober und einer neuerlichen Runde, die ich im Jänner durch dieses Areal drehe, hat sich tatsächlich viel verändert. Die Baustelle für den Siedlungneubau ist “eröffnet”, wobei die bereits in der Planung mitgedachte Möglichkeit, bei den Grabungsarbeiten Relikte aus der Zeit des Zwangsarbeitslagers zu finden, tatsächlich eingetroffen ist. Für diesen Fall ist auch die Kooperation mit Archäolog*innen bei der Planung mitbedacht.

Diese sieht vor, dass im Zuge der ersten Bauphase Häuser auf einem freien Grundstück errichtet werden. Die darauf folgenden Bauphasen verkomplementieren die neue Siedlung auf einem Areal, auf dem jetzt noch bewohnte Häuser stehen. Zwar wird keine*r der Bewohner*innen ausquartiert, jedoch werden die Huser auch nicht mehr vergeben, sobald sie verlassen sind. In den warmen Monaten fällt die oft liebevollste Gestaltung der kleinen Holzhäuschen und der dazugehörigen (Vor-)Gärten auf. Jetzt erzeugt dieses “sich-langsam-Leeren” der Siedlung – verstärkt durch jahreszeitlich bedingt kahle Bäume und Gärten – eine irgendwie traurige Stimmung. Mir kommt Hermann Hesses “Jedem Ende wohnt ein Anfang inne …” in den Sinn.

Aber weiter mit dem Audiowalk: wir gehen an der neu errichteten Gedenktafel für das Lager Liebenau vorbei, an dem Straenschild für den nach einer Zeitzeugin benannten Maria-Cäsar-Park (das zum Zeitpunkt meiner Besichtigung noch unbefestigt an einen großen Busch gelehnt ist, mittlerweile aber offenbar fest verankert wurde) und schreiten über einen wegbreiten sog. Stolperstein.

Man erfährt auch so manch Seltsam-Kurioses: so lautet der Name des Leiters vom Zwangsarbeiterlager Pichler; die über exakt dieses Areal führende Pichlergasse ist jedoch nach Andreas Alois Edler von Pichler (1764-1856) benannt. Laut Beschreibung ein Realitätenbesitzer und großer Wohltäter, Gönner und Ehrenbürger der Stadt Graz, dem besondere Verdienste im Armenwesen zugeschrieben werden.

Der ca. 1 Stunde dauernde Audiowalk kann natürlich gewisse Themen nur anreißen und nicht alles Historische bis ins kleinste Detail erklären. Ich finde aber, Flora und Jan – beide leben in Wien, letzterer ist aber in der Kasernstraßensiedlung groß geworden – ist es sehr gut gelungen, eine interessante, kurzweilige Mischung aus Historischem und Gegenwärtigem für den/die Zuhörer*in zusammen zustellen.

Dieser Audiowalk ist übrigens auch jetzt noch für jedermann zugänglich – einfach aufs handy runterladen und lospazieren… eventuell mit kleinen Routenänderungen wegen der Baustelle(n).

Weitere Beiträge zu diesem Thema:
Liebenau: ein Bezirk für Radfahrer*innen …

 

 

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Von: Heidi

16. Februar 2021

Bild: Friedensbüro Graz

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