Gewaltfreie Revolution
Solidarność (Polen) 1/2
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Wenn man an gewaltfreie Revolution denkt, so fällt einem der Name Gandhi natürlich sehr schnell ein. Allerdings gab es in der Vergangenheit auch in Europa gewaltfreie Revolutionen, die einem allerdings wesentlich seltener ins Gedächtnis kommen und auch in den Schulen eher selten zum Gesprächsstoff werden. Eine davon ist beispielsweise der polnische Sommer, eine Freiheitsbewegung, die zur Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność führte – etwas, das es in einem sozialistischen Land noch nie zuvor gab und zugleich ein riesiger Schritt hin zur Demokratie und Freiheit Polens.
Im Sommer 1980 steckte Polen in einer tiefen Wirtschaftskrise, weswegen die Preise für Gebrauchgüter und Grundnahrungsmittel (insbesondere am 1. Juli 1980 für Fleisch) unaufhaltsam in die Höhe zu schießen schienen, was vor allem die Arbeiterklasse hart traf. Daraufhin breiteten sich Empörung und Unruhen in der Bevölkerung aus und es kam, ausgehend von der Stadt Lublin, zu einer Reihe von Streiken und Demonstrationen, die Stimmung im Land war also ohnehin schon sehr angespannt.
Richtig los ging es allerdings erst am 14. August 1980: An diesem folgenschweren Tag wurde die Kranführerin Anna Walentynowicz aus der Lenin-Werft in Danzig entlassen, da sie sich politisch engagiert und für die Rechte von Arbeitern eingesetzt hatte. Als Antwort darauf folgten die Arbeiter:innen zweier Abteilungen der Lenin-Werft mit Streik und forderten einerseits die Wiedereinstellung von Anna Walentynowicz und dem Elektriker Lech Wałesa, der aus ähnlichen Gründen seinen Job verloren hatte, sowie andererseits eine Gehaltserhöhung. Die Arbeiter:innen der Lenin-Werft blieben in ihrem Streik jedoch nicht allein: Im ganzen Land folgten in den darauffolgenden Tagen tausende von Menschen ihrem Beispiel und legten ihre Arbeit ebenfalls nieder.
Nach zwei Tagen, am 16. August 1980, war es so weit und die Direktion der Lenin-Werft gab den Forderungen der Arbeiter:innen nach. Jetzt, wo die Arbeiter:innen allerdings gesehen hatten, was sie durch ihren Streik erreichen konnten, taten sie alles andere, als damit aufzuhören – immerhin gab es noch viele weitere Betriebe, die für bessere Bedingungen streikten. Der Streik, der nach den zwei Tagen ursprünglich hätte beendet werden sollen, wurde also verlängert und es wurde noch in der Nacht des 16. Augusts ein Streikkommitee mit Lech Wałesa als Anführer gegründet.
Auf den Toren der Lenin-Werft wurde eine Liste mit 21 Postulaten montiert, die die Politiker anerkennen und umsetzen sollten, während die Arbeiter:innen sich weiterhin weigerten, ihren Tätigkeiten nachzugehen. Ihr entschlossenes Durchhalten, das von vielen anderen Mitgliedern der Bevölkerung beispielsweise durch Essensgaben und solidarischen Ansammlungen vor den Toren der Werft unterstützt wurde, lohnte sich auch diesmal.
Nach 14 Tagen des Streiks stand die polnische kommunistische Parteiführung langsam unter Druck und sah sich gezwungen, mit den Arbeiter:innen der Lenin-Werft zu verhandeln. Am 31. August 1980 unterzeichneten der Vize-Premier Mieczyslaw Jagielski, der mit dem Streikkommitee auf der Werft die 21 Forderungen besprochen hatte, und Lech Wałesa schließlich das Danziger Abkommen. Besonders eine dieser Forderungen war besonders bedeutsam – nun war es nämlich offiziell, dass eine unabhängige Gewerkschaft zugelassen wurde, die streiken durfte und auch Zugang zu den Massenmedien bekam.
Diese unabhängige Gewerkschaft ließ auch nicht lange auf sich warten: Am 17. September 1980 wurde in Danzig der einheitliche Gewerkschaftsverband Solidarność („Solidarität“) mit Lech Wałesa an der Spitze gegründet, dem in den Jahren darauf fast 10 Millionen Menschen in Polen beitraten.
Mit der Gründung der Solidarność war der Kampf der Arbeiter:innen allerdings nicht gewonnen – die schwierigen Zeiten standen ihnen noch bevor.
Quellen:
https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/dossiers/solidarnosc/geschichte https://www.mdr.de/geschichte/chronologie-solidarnosc100.html
https://osteuropa.lpb-bw.de/solidarnosc-polen
https://www.polish-online.com/geschichte-polen/gewerkschaft-solidaritaet.php
Von: Miriam
27. Januar 2022
Bild: European Solidarity Centre, CC BY-SA 3.0 PL, via Wikimedia Commons
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