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Indigene Völker und Pandemien – ein unrühmliche Geschichte
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Wie bereits im letzten Beitrag berichtet, stellt das Coronavirus vor allem für indigene Völker eine große Bedrohung dar. Dies ist allerdings bei weitem kein neuartiges Phänomen: Bereits zu Zeiten des Kolonialismus, vor allem um das 19. Jahrhundert, hatten diese immer wieder mit Krankheiten zu kämpfen, die die Einwanderer mit sich brachten. Nicht nur das, teilweise mussten indigene Völker sogar als Versuchskaninchen herhalten, etwa für Missionare, die an ihnen Medikamente erprobten. Unter anderem als Resultat dieser Erfahrungen reagieren nun also viele indigenen Völker auf der Welt feindlich auf Annäherungsversuche von außerhalb.
Im 16. Jahrhundert etwa, als spanische Konquistadoren in der Neuen Welt ankamen, brachten sie den in Nordamerika lebenden Völkern ein tödliches Geschenk mit: Krankheitserreger aus Europa, gegen die die Ureinwohner keinerlei Abwehrkräfte besaßen. Die Ausmaße der Seuchen, die so in Nordamerika ankamen, waren enorm: Die Pocken etwa forderten ganze acht Millionen Tote, manchen Schätzungen zufolge sogar bis zu 90 Prozent aller indigenen Völker. Ein wenig später brach auch ein von Blutungen begleitetes Fieber in Mexiko aus, das für weitere drei Millionen der Ureinwohner den Tod bedeutete. Davon wiederum profitierten die Eroberer: Durch das Massensterben war es ihnen ein Leichtes, den Kontinent einfach für sich zu beanspruchen.
Besonders tragisch endete ein Annäherungsversuch an ein indigenes Volk in jüngerer Zeit am 17. November 2018 diesmal nicht für dieses selbst, sondern für den 26-jährigen John Chau. Der Amerikaner hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Sentinelesen, ein unkontaktiertes Volk auf einer Insel, North Sentinel Island, im indischen Ozean, zu missionieren. Dass diese allerdings kein Interesse am Kontakt mit Außenstehenden haben, machen diese sehr eindeutig, indem sie mit Pfeilen auf Personen und Maschinen wie etwa Hubschrauber schießen, die sich der Insel nähern. Dies vor allem auch, um sich selbst zu schützen: Die Sentinelesen haben nämlich bereits so lange in Isolation gelebt, dass sie absolut keine Antikörper gegen modernere Krankheiten besitzen – selbst eine gewöhnliche Erkältung könnte für sie tödlich sein.
John Chau, der sich dessen bewusst war, begab sich vor seinem Versuch, die Sentinelesen zu kontaktieren, also für elf Tage in Quarantäne in der Hoffnung, so keine Krankheiten mit sich zu bringen. North Sentinel Island zu besuchen wird allerdings auch von der indischen Regierung strikt untersagt, weswegen John Chau von ansässigen Christen auf einem Boot versteckt und in der Dunkelheit über eine für einen Angelausflug übliche Route aufs Meer hinausgebracht wird.
Am Morgen, nachdem die Gruppe kurz vor der Insel Anker geworfen und ein paar Stunden geschlafen hatte, stieg John Chau allein auf ein kleineres Kajak um, bei sich einen Thunfisch, den er den Sentinelesen als Geschenk zu bringen gedachte. Die Sentinelesen, die sich am Strand befanden, auf den er zupaddelte, reagierten jedoch keineswegs freundlich auf seine Zurufe, sondern entgegneten ihm zunächst mit Schreien und anschließend mit Pfeilen, als John Chau keine Anstalten machte, wieder umzukehren. Panisch drehte dieser daraufhin um und ruderte zurück zum großen Boot, schwor sich allerdings, später noch einmal zu versuchen, auf die Insel zu gelangen.
Diesmal sollte er jedoch nicht zurückkommen, was auch John Chau selbst zu wissen schien, wie man aus seinem Tagebuch entnehmen kann, in dem er etwa „I think I might die („Ich denke, ich könnte sterben“) schreibt. Bei seinem zweiten Versuch zog er sich bis auf seine Unterhose aus, ehe er erneut auf die Insel zuruderte, während die übrigen Leute auf dem Boot weiterfuhren.
Als diese jedoch am nächsten Tag zurückkehrten, war keine Spur von John Chau zu sehen. Erst nach einiger Zeit entdeckten sie etwas am Strand, das sich bei genauerem Betrachten als ein Körper herausstellte, der in schwarzen Unterhosen steckte. Und um dessen Hals befand sich ein Seil, an dem er von den Sentinelesen durch den Sand geschliffen wurde.
Zwar wurde John Chau von einem schrecklichen Ende ereilt, dennoch darf man aber nicht außer Acht lassen, dass er zu einem großen Teil selbst für dieses verantwortlich war: Er hat entschieden die Warnungen der Sentinelesen ignoriert und beschlossen, weiterhin zu versuchen, auf die Insel zu gelangen, obwohl das Volk oft genug klargestellt hat, dass es nicht gestört werden möchte. Dies zu ignorieren, bedeutet außerdem im Grunde einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf Selbstbestimmung. Jenes sagt aus, dass indigene Völker unter anderem selbst gestalten dürfen, wie sie sich sozial und kulturell entwickeln, ohne dabei von außen beeinflusst zu werden. John Chaus Plan, die Sentinelesen zu missionieren, war also nicht nur eine potentielle Bedrohung der Gesundheit des Volkes, sondern verletzte auch dessen Recht, selbst über seine Kultur bestimmen zu dürfen.
Quellen:
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-versteckte-erbe-des-kolonialismus
https://www.wissen.de/pandemien-die-folgenschwersten-seuchen-der-letzten-2000-jahre
https://www.theguardian.com/world/2019/feb/03/john-chau-christian-missionary-death-sentinelese
https://www.gq.com/story/john-chau-missionary-and-uncontacted-tribe
https://www.welt.de/vermischtes/article184645854/Tod-bei-Sentinelesen-Traurig-dass-er-sterben-musste-doch-er-hat-einen-Fehler-gemacht.html
https://www.un.org/esa/socdev/unpfii/documents/Declaration%28German%29.pdf
Von: Miriam
23. Juli 2020
Bild: ©Kranich17 auf Pixabay
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