Femizid
Interview mit Mag.a Petra Leschanz vom Frauenservice Graz – 2/2
Unser Blog
Letzte Woche wurden uns im ersten Teil unseres Interviews mit Mag.a Petra Leschanz vom Frauenservice Graz bereits einige große Fragen zum Femizid beantwortet. Dabei wurde vor allem klar, dass es nicht „den“ Täter gibt, der einen ganz bestimmten sozialen Hintergrund oder eine ganz bestimmte Herkunft hat. Wenn man nun aber weiß, dass es nicht unbedingt die Täter sind, die etwas gemein haben, stellt sich natürlich schnell die Frage: Sind es dann vielleicht die Gründe für ihre Tat, die sie gemeinsam haben? Sind es gewisse Eigenschaften der Opfer? Oder sind vielleicht auch mangelnde Maßnahmen zur Femizidverhinderung das Problem?
Was sind die häufigsten Auslöser/Gründe für einen Femizid?
Als Beraterinnen sehen wir einzelne Frauen, die uns in einer sehr vertrauten Atmosphäre Dinge erzählen können, die sie zuvor noch niemandem anders erzählt haben. Keiner anderen Beratungsstelle, nicht der Polizei und oft nicht einmal der besten Freundin oder der eigenen Mutter. Die Fälle, in denen ich mir Sorgen mache, ob die betroffene Frau den nächsten Termin überhaupt noch erleben wird, haben gemeinsam, dass die Geschichte, die bis zu diesem Moment geführt hat, eine sehr lange ist. Gewaltbeziehungen entwickeln sich manchmal überraschend, manchmal aber auch schleichend. Auf der einen Seite gibt es beispielsweise Frauen, die sich vorkommen, als seien sie im falschen Film, wenn der Partner plötzlich das erste Mal zuschlägt, auf der anderen Seite gibt es Frauen, die von subtilen Anzeichen berichten, wie etwa dem, dass sie ihr eigenes Geld nicht mehr verwalten durften oder ihre Freund:innen nicht mehr besuchen sollten. Im letzteren Fall gibt es immer Stress, wenn die Frauen eigene Entscheidungen treffen wollen, wodurch sie immer mehr in die Ecke gedrängt werden.
Wenn in einer Beziehung einmal diese Schieflage eintritt, dann kann sich das soweit vertiefen, dass für die Frauen die Anstrengung, die es braucht, um wieder eine Beziehung auf Augenhöhe herzustellen, so groß ist und immer mit so viel Druck verbunden ist, dass sie dies bleiben lassen. In dieser Dynamik geht es um Machtausübung – es ist menschlich gar nicht möglich für die Frauen, sich so konform zu verhalten, dass ein Partner, der derartige Machtansprüche stellt, dann nicht doch unzufrieden ist, weil diese Machtausübung damit aufrecht erhalten wird, dass es diese permanenten, mehr oder weniger subtilen Disziplinierungsversuche gibt. Es wird sehr gefährlich und kompliziert, aus derartigen Dynamiken wieder auszubrechen, denn je mehr Raum und Autonomie die Frau versucht, zurückzubekommen, desto schärfer auch die Reaktionen der Gegenseite. Wenn die Frau einmal diesen Objektstatus im Denken des Täters hat, der sich dessen vielfach nicht bewusst ist und dies auch nicht zugeben würde, muss dieser – aus seiner Logik heraus – Schritte setzen, um sein Eigentum zu beschützen. Es ist dann oft von der schnellen Reaktion und den Chancen der Frau in der Gefahrensituation abhängig, ob sie überlebt oder ob sie stirbt. In der offiziellen Statistik sind ja nur die tatsächlich vollzogenen Tötungen von Frauen vermerkt. Es ist nicht vermerkt, in wie vielen Fällen es ganz knapp ausgegangen ist, in wie vielen die Frau sich in letzter Sekunde hat retten können, weil sie die Polizei gerufen hat oder weil Nachbar:innen oder Freund:innen intervenieren konnten. Daher braucht es auch Möglichkeiten für Frauen, frühzeitig Ansprechpartner:innen zu haben, die auf ihre Situation sehr sensibel eingehen können, wenn sie merken, dass in der Beziehung irgendetwas nicht stimmt und sie aus dieser ausbrechen möchten. Diese Entscheidung, sich das Verhalten des Partners nicht mehr gefallen zu lassen, erfordert viel Mut, aber auch viel Unterstützung sowohl von professioneller Seite als auch vom Freundeskreis und der Familie. Niemand kann es den Frauen abnehmen, die Beziehung zu verlassen – dieser Prozess ist oft ein sehr langwieriger und komplexer, der aber auch gelingen kann.
Gibt es psychische Marker bei Frauen, die diese zu Opfern machen? Was macht resilient?
Wir stellen uns bei Beratungen zu Fällen, die von intensiven Gewalterfahrungen gezeichnet sind, schon auch die Frage, wie die Frau in diese Position kommen konnte. Es ist aber nicht ganz unproblematisch, sich Fälle unter dieser Linse anzuschauen: In manchen Analysen geht es dadurch nämlich in die Richtung, dass die Betroffene fast selbst so viel Schuld zu tragen scheint wie der Täter. Auf der einen Seite machen viele Frauen sich selber Vorwürfe, warum sie sich gerade diesen Täter als Partner ausgesucht haben. Auf der anderen Seite erleben wir es, dass gewaltbetroffene Frauen durch derartige Ansätze auch pathologisiert werden, also über sie gesagt wird, dass sie die eigentlichen „Kranken“ seien, wenn sie so lange in der Beziehung verblieben sind. Es ist unbestritten, dass bei denjenigen Betroffenen, die selbst schon in der Kindheit Gewalt erfahren haben, dadurch gewisse Dynamiken oder Handlungsmuster vorhanden sind sind, die es ihnen viel schwerer machen, ihre eigene Autonomie zu verteidigen, beziehungsweise ihre eigenen Grenzüberschreitungen zu erkennen und damit auch umzugehen. Wenn man als Kind, wo die Machtgefälle noch extremer sind, erlebt hat, dass sich machtvolle Täter:innen über die eigenen Grenzen hinwegsetzen und man nichts dagegen tun kann, kann es geschehen, dass dieses Ohnmachtsgefühl durch eine neuerliche Gewalterfahrung getriggert wird. Das ist aber weder krankhaft, noch den betroffenen Frauen vorzuwerfen, sondern viel eher in einen Appell umzuwandeln, gegen Gewalt in allen Ebenen der Gesellschaft vorzugehen, natürlich auch gegen solche, die sich gegen Kinder richtet. Die Forderung nach einem gewaltfreien Leben gilt ja nicht nur für Frauen, sondern für alle in der Gesellschaft.
Ich erlebe es allerdings auch, dass Frauen, die in der eigenen Familie bereits mit diesen Gewaltformen konfrontiert waren, gerade deswegen auch frühzeitig in einer Beziehung reagieren können und erkennen können, in welche Richtung diese geht. Es kann also sowohl sein, dass eine solche Gewalterfahrung sich durch eine nicht genügende Reflexion und Aufarbeitung wiederholt, als auch, dass durch eine frühere Gewalterfahrung ein so eindeutiger Lernprozess stattgefunden hat, dass Täter solche Frauen nicht mehr in der Beziehung halten können, weil diese frühzeitig die Reißleine ziehen. Daraus kann man natürlich auch ableiten, dass es sehr wichtig ist, Räume für Frauen, beziehungsweise für alle Personen, die derartige Gewalterfahrungen in der Kindheit, in der Jugend oder im Erwachsenenalter gemacht haben, aufzumachen, wo diese Auseinandersetzung und diese Lernprozesse stattfinden können. Es ist also wichtig, diesen Aspekt zu beleuchten, dass Frauen eben nicht hilflose Opfer sind, sondern sich auch Handlungsspielräume erkämpfen können, was man unterstützen und dafür auch gute Bedingungen schaffen muss.
Hat es einen Rückbau von Maßnahmen zur Femizidverhinderung gegeben oder wird der Gewaltschutz in Österreich immer besser?
Natürlich sind Zahlen, wo es um Ressourcen geht, etwas ganz Entscheidendes. Es macht einen Unterschied, wie viel Geld für Gewaltprävention zum Schutz von Frauen zur Verfügung steht, weil sich dieses direkt in Möglichkeiten für Einrichtungen übersetzt, für Frauen in akuten sowie in latenten Gewaltsituationen zeitnah da zu sein. Wenn ich heute in meinen Email-Posteingang schaue, sind da mehrere Anfragen für Termine, oft wird dabei auch betont, wie dringend es ist. Wenn ich dann aber einen Blick auf meinen Terminkalender werfe, dauert es teilweise Wochen, bis ein Termin angeboten werden kann. Hier macht es also selbstverständlich einen Unterschied, wenn mehr Stunden für Beratungen zur Verfügung stehen, wenn mehr Kolleginnen eingestellt werden können – wir arbeiten alle nur Teilzeit, es gibt keine Vollzeitstellen in vielen Beratungsstellen, weil die Mittel dermaßen sparsam verteilt werden. Die Forderung nach einer Aufstockung des Frauenbudgets um eine Milliarde ist notwendig, da es wirklich nur ein Minimalprogramm ist, das derzeit läuft. Ganz gravierend ist auch, dass man sich in einer Situation befindet, wo es immer wieder notwendig ist, zu erklären und zu rechtfertigen, wofür es denn überhaupt Beratungsstellen braucht oder wozu denn Übergangswohnungen und Frauenhäuser notwendig sind. Je mehr Ressourcen da sind, desto mehr können wir für die Frauen dann da sein, wenn sie uns brauchen. Es macht einen Unterschied, wie lange Frauen auf einen Termin warten müssen und ob sie nur einmal mit einer Beraterin sprechen können oder tatsächlich so oft, wie sie es in ihrer Situation benötigen. Auch eine automatische Inflationsanpassung der Fördergelder ist notwendig, weil es sonst auch bei scheinbar gleichbleibendem Budget vor dem Hintergrund einer Inflation zu einer schleichenden Reduktion der tatsächlichen Beratungsangebote kommt.
Gibt es noch etwas Wichtiges, das unsere Leser:innen unbedingt aus diesem Interview mitnehmen sollten?
Mir ist es wichtig, mit einem Appell an alle Frauen abzuschließen, die den Eindruck haben, dass in ihrer Beziehung ein gefährliches Machtgefälle entstanden ist, sich frühzeitig Beratung und Unterstützung zu holen. Bei uns im Frauenservice ist das sehr einfach möglich, denn wenn man bei uns bei der Tür hereinkommt, weiß niemand, ob man eine Leserin aus unserer Bibliothek ist, eine Bildungsveranstaltung besucht oder ins Infocafé Palaver geht, um sich mit jemandem zu treffen. Unsere Einrichtung ist so vielfältig, dass sie Klientinnen nicht stigmatisiert, was zum Beispiel sehr wichtig für Frauen ist, die über ihre Erfahrung das erste Mal sprechen.
Ich möchte auch Freund:innen, Kolleg:innen, Lehrer:innen und Verwandte einer Frau, von der sie das Gefühl haben, sie muss Angst in ihrer Beziehung haben, dazu ermutigen, sich selbst Beratung zu holen. Es dauert für Frauen oft sehr lange, bis sie sich selber dazu durchringen können, sich beraten zu lassen, aber auch als Person in ihrem Umfeld kann man sich beraten lassen, um die gewaltbetroffene Frau besser unterstützen, sich selbst schützen und Courage zeigen zu können. Ich rate dazu, nicht wegzuschauen, weil oft auch kleine, scheinbar unbedeutende Handlungen dazu führen können, dass eine Gewaltdynamik unterbrochen wird, die im schlimmsten Fall zum nächsten Mord an einer Frau in Österreich führen könnte.
Von: Miriam
15. Juli 2021
Bild: Mario Azzi auf Unsplash
Geschlecht als Faktor in einem Mord
Und wie sieht es in Österreich aus?
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