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Matthias Schlögl lebt mit seiner Familie in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt (kooperatives Wohnen in Volkersdorf kurz: KooWo) in der Nähe von Graz. Die Siedlung setzt auf kollektives Eigentum und Selbstverwaltung. 28 Wohneinheiten werden derzeit von insgesamt 44 Erwachsenen und 32 Kindern bewohnt.
Matthias, wie beschreibst du deine Wohnsituation?
Ich nenne das KooWo gerne Wohngemeinschaft 2.0: eine WG mit mehr privatem Rückzug. Im Sommer gebrauche ich auch den Begriff Campingplatz, wenn sich das Leben im Freien abspielt. Durch die Architektur dieser Anlage lässt sich das private und das Leben in Gemeinschaft gut ausbalancieren. Zu Hause, in den eigenen vier Wänden sind wir als Familie privat. Der Innenhof versteht sich architektonisch als Begegnungszone und die Gemeinschaftsräume sind, wie der Name schon sagt Orte, an denen wir zusammenkommen.
Wie bist du darauf gekommen so zu wohnen? Wie habt ihr davon erfahren?
Bei einer Party in Graz (lacht). Über zwei Ecken haben wir dann jene Gruppe kennengelernt, die bereits das Grundstück, auf dem wir hier leben, ins Auge gefasst hat. Meine Frau und ich haben zu diesem Zeitpunkt in einer Wohngemeinschaft gelebt. Das WG-Leben haben wir sehr geschätzt, allerdings sehnten wir uns nach mehr Natur. Wir hatten schon die Idee mit Freunden ein gemeinschaftliches Wohnumfeld aufzubauen, bis der Zufall es so wollte und wir von diesem Projekt erfuhren. Im alten Bauernhaus (es steht noch immer auf dem Grundstück und wird gemeinschaftlich genutzt) fand das erste Begegnungstreffen statt. Die dort anwesenden Personen, die ein ernsthaftes Interesse für den nächsten Schritt hatten, waren anschließend zu einem Kennenlern-, Visionswochenende eingeladen. Dafür waren wir drei Tage auf einer Alm. Das war der richtig große Start mit Moderation und Arbeitsgruppen. Dabei habe ich gespürt, dass dieses Projekt viel Potential hat. Wir haben sehr gut mit den Leuten harmoniert, was unsere Motivation für das gemeinschaftliche Wohnen zusätzlich entfachte.
Eure Vision entstand also aus dem geglückten WG-Leben?
Ja genau! Kann man so sagen. Gute soziale Beziehungen im engeren Wohnumfeld bedeuten meines Erachtens ganz viel Lebensqualität, weil ein unkomplizierter gegenseitiger Austausch in der Gemeinschaft stattfinden kann, der nicht großartig organisiert werden muss. Das Modell der klassischen Wohnungsgemeinschaft wäre für uns als Familie nicht passend, dafür fehlen die privaten Räumlichkeiten. Es ist wichtig Rückzugsmöglichkeiten zu haben. Aber eine Wohnung für uns allein möchten wir auch nicht haben.
Welche Herausforderungen bringt das Leben im KooWo mit sich?
Wenn man in einer Gemeinschaft wohnt, lernt man die Menschen gut kennen. Das ist eine erweiterte Beziehungsarbeit. Dabei entstehen zwangsläufig Missverständnisse und Konflikte. Das gehört dazu, wenn man Beziehung aufbaut. Jeder bringt seine eigenen Vorstellungen mit, die sich voneinander unterscheiden und woraus Missverständnisse entstehen können. Um diese auszuräumen ist es wichtig in Kontakt bleiben.
Das ist offenbar eine Wohnform, die jetzt zu euch passt. Hat sie ein Ablaufdatum?
Derzeit ist es für uns die optimale Lebensform. Es kann sein, dass wir in 10-15 Jahren – wenn die Kinder dann schon älter sind – für uns überprüfen, ob sie dann noch genauso für uns passt.
Warum ist das Leben hier gerade mit Kindern so ideal?
Ich finde es sehr schön, wenn Kinder in einem Umfeld mit vielen anderen Kindern aufwachsen. Im KooWo geht man vor die Haustüre, trifft Kinder unterschiedlicher Altersgruppen. Soziale Begegnungen und Beziehungen bilden sich innerhalb der Bewohnerschaft ganz ungezwungen und natürlich. Das schätze ich. Ich finde es schön, dass Kinder viele verschiedene Rollenbilder und damit auch ihr eigenes Potential in anderen Menschen sehen können. Das müssen nicht zwangsläufig die eigenen Eltern sein. In dem viel bemühten Zitat, „zum Heranwachsen eines Kindes braucht es ein ganzes Dorf“ steckt schon viel Wahrheit.
Wie empfindest du die Infrastruktur auf dem Land im Gegensatz zur Stadt?
Ich habe meine Wahrnehmung dazu korrigieren müssen. Ich dachte die Infrastruktur am Land wird viel schlechter sein, aber in Wirklichkeit ist sie besser geworden. Wir haben das Glück, dass Kindergarten und Kinderkrippe gleich auf der anderen Straßenseite sind. Das ist für uns als Jungfamilie sehr wichtig. Darüber hinaus mussten wir keine Sorge haben einen Platz zu bekommen, was nicht überall selbstverständlich ist. Die Erledigungen des täglichen Gebrauchs wie beispielsweise Supermarkt, sind alle mit dem Fahrrad erreichbar.
Kultureinrichtungen als ständig verfügbare Infrastruktur gibt es in meinem Wohnumfeld nicht. Allerdings vermisse ich das aufgrund der Kinder derzeit auch gar nicht. Wichtiger als kulturelle Angebote ist mir derzeit die Nähe zur Natur. Ich habe den Bach gleich neben der Haustüre und wenn ich in der Früh hinausschaue, sehe ich überall grün vor mir. Das ist herrlich. Als ich in der Stadt aus dem Fenster blickte, schaute ich direkt in die nächste Häuserwand.
Im KooWo ist jede/r dazu aufgefordert am Gemeinschaftsleben mitzuarbeiten. Wie kann man sich das vorstellen?
Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten sich in die Gemeinschaft einzubringen. Das ist ein persönlicher Gewinn, weil das Spielfeld an Betätigungsfeldern sehr breit ist. Wir haben eine Arbeitsgruppe (AG) für Ökologie, die sich unter anderem mit der Entwicklung der Landwirtschaft oder dem Foodcoop beschäftigt, während z.B. die Verwaltung und der Ausbau der Hausanlage in der AG Verwaltung behandelt wird.
In den letzten Jahren habe ich Kompetenzen an mir entdeckt, von denen ich vorher nichts wusste. Bei uns gibt es zum Glück auch keine starken Kontrollmechanismen, wer, wie, wann wieviel für die Gemeinschaft macht. Es passiert viel im Vertrauen und wir wissen, dass diese Arbeit situationsbedingt und in Abhängigkeit von den Zeitressourcen der Bewohner gemacht wird. Natürlich gibt es auch Grenzen. Wenn sich irgendjemand gar nicht einbringt, wäre das schon befremdlich, aber das passiert eigentlich nicht.
Wie hast du in deiner Kindheit gewohnt?
Ich komme ursprünglich aus einer Ortschaft mit ca. 5000 Einwohnern, wo meine Freunde und ich in Einfamilienhäusern quer durch die Stadt verteilt aufgewachsen sind. Meine, und die Eltern meiner Freunde haben allesamt Einfamilienhäuser gebaut, was automatisch einiges an Problemen mit sich bringt. Man erlebt den Stress des Bauens, der Finanzierung und dann auch noch der Instandhaltung. Energie, von der ich glaube, sie wäre besser in soziale Beziehungen investiert gewesen. Ich habe eine schöne Kindheit erlebt und bin an einem guten Ort aufgewachsen. Ich hatte allerdings nie das Bedürfnis es meinen Eltern gleich zu machen. Nicht nur, dass für mich die Lebensqualität beim gemeinschaftlichen Wohnen eine höhere ist als im Einfamilienhaus: auch unter ökologischen Aspekten, bevorzuge ich das gemeinschaftliche Wohnen, da es im Sinne einer zunehmenden Flächenversiegelung gegenüber dem Einfamilienhaus ressourcenschonender ist.
Wie wohnst du in deinen Träumen, wenn dir finanziell keine Grenzen gesetzt wären?
Dieses Gedankenspiel hatten wir schon einige Male im KooWo. Und wir sind immer wieder zum Schluss gekommen, dass wir gar nicht viel anders wohnen möchten. Denn diese Gemeinschaft kann man mit Geld nicht kaufen.
Von: Anna
27. Oktober 2021
Bild: Gabriel Jeromin
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