Oder: Friedenskreise als Gesprächskultur in vielen Facetten.

Vor zwölf Jahren verbrachte ich ein Jahr in Kanada, wo ich Restorative Justice kennen lernte. Damals, als ich mein Jus-Studium abgeschlossen und das Gerichtsjahr beendet hatte, war es eine Wohltat für mich, mit der Idee der „Wiederherstellenden Gerechtigkeit“ in Kontakt zu kommen. Ich war gleich fasziniert von dieser zukunftsgerichteten Möglichkeit Konflikte zu lösen, in der das Wohl und die Beziehung der Beteiligten im Vordergrund stehen.

Eine „Methode“ dabei sind die „Friedenskreise“ (Peacemaking Circles), wie sie bei den indigenen Kulturen Nordamerikas ihren Ursprung haben. Bei genauerer Betrachtung findet man dieses Gesprächsformat in Kulturen auf der ganzen Welt.
In Nordamerika sind Restorative Justice Programme in unterschiedlicher Weise mit dem staatlichen Rechtssystem verknüpft: zum Beispiel gibt es First Nations Gemeinschaften, in denen ein Rechtsbruch in einem Friedenskreis in der Gemeinschaft und unter Teilnahme der/des staatlichen Richterin/Richters verhandelt wird; oder parallel zum Rechtssystem werden Kreise für die persönliche Begegnung und Heilung organisiert, zum Beispiel für eine Täter/Opfer-Begegnung.

Friedenskreise – was ist das?

Kreise ermöglichen einen strukturierten Dialog und eine geschützte Atmosphäre, in der Beziehungen entstehen, Konflikte gelöst, Sorgen und Freude geteilt oder Entscheidungen getroffen werden können.

Sie sind ein Prozess des „Geschichtenerzählens“ und geben jeder und jedem Raum die persönliche Geschichte – die eigene Sicht auf die Situation – zu teilen. Dieser Rahmen ermöglicht einen offenen und ehrlichen Austausch über Gefühle, Erfahrungen und Verletzungen. Menschen kommen im Kreis als Gleichberechtigte zusammen, um schwierige Themen zu behandeln und Konflikte zu lösen.

Ein Redegegenstand, der nacheinander durch die Runde weitergegeben wird, hilft dabei eine Gesprächskultur einzuhalten: wer den Gegenstand in der Hand hat spricht. Die anderen können sich zurücklehnen und nur zuhören, ohne daran denken zu müssen auf etwas Gesagtes gleich zu reagieren. Die Person mit dem Redegegenstand kann sich Zeit nehmen, um in Ruhe nachzudenken und zu spüren, was von Herzen gesagt werden will. Ohne Druck, dass jemand anderes das Wort ergreifen könnte. Man kann auch Stille spenden und danach den Gegenstand weitergeben. Da der Redegegenstand Reih um geht, ist es absehbar wann man drankommt – viele Menschen erleben dies als sehr beruhigend.

Von Herzen sprechen und zuhören.

Peacemaking Circles sind neben der Lösungssuche bei Konflikten wunderbar dazu geeignet, um besondere Ereignisse zu feiern, eine Gemeinschaft zu stärken, ein trauriges Ereignis zu begleiten oder Entscheidungen in Organisationen zu treffen. So greift das Organisationsmodell der Soziokratie die Kreiskultur zur Entscheidungsfindung auf. Nachdem alle Informationen zu einem Thema am Tisch liegen, gibt es eine Meinungsrunde. Wenn alle sich gegenseitig gehört haben, gibt es eine weitere Runde, die das Prinzip des gemeinsamen Lernens und der Gruppenintelligenz verstärkt: die Meinungsänderungsrunde.
In der ersten Runde hört man verschiedene Blickwinkel zum Thema, naturgemäß wird dadurch – wenn man wirklich offen zuhört – auch der eigene Blick geweitet. Es entsteht eine innere Bewegung und/oder Klarheit. Um genau dieser inneren Entwicklung im Sinne einer nachhaltigen Entscheidung Raum zu geben, gibt es dann die Meinungsänderungsrunde. Man wird also nicht gedrängt engstirnig die eigene Meinung zu verteidigen, um sein Gesicht zu wahren, sondern es ist eine offene Einladung, dem inneren Wandel oder der gefestigten Klarheit Raum zu geben. Ich durfte schon viele solcher Runden miterleben und bin immer wieder aufs Neue begeistert, wenn eine Gruppe bereit ist gemeinsam wahrhaftig zu lernen.

Ich hoffe, ich konnte schmackhaft machen, dass solche Kreise auch eine wunderbare Möglichkeit sind, um in der eigenen Nachbarschaft miteinander in Begegnung zu kommen!

 

Zum Weiterlesen:
Tribal Healing to Wellness Courts
Peacemaking Circles. From Crime to Community. Kray Pranis, Barry Stuart, Mark Wedge (2003).
Soziokratie Zentrum

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Von: Katharina

27. Juni 2024

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