Konflikte machen unser Zusammenleben herausfordernd. Doch können wir sie nicht einfach aus unserem Leben eliminieren. Entscheidend ist wie wir damit umgehen, um in unseren Beziehungen wachsen zu können. In unserem ersten Beitrag zur Reihe „Was ist ein Konflikt“ spreche ich mit meiner Kollegin Katharina Kolaritsch. Sie ist Juristin und arbeitet seit 2012 als selbstständige Mediatorin. Seit 2019 ist sie im Friedensbüro Graz im Nachbarschaftsservice tätig, wo sie Menschen in einem Nachbarschaftskonflikt vermittelnd und beratend zur Seite steht.

Katharina, du hast viel Erfahrung im Umgang mit Konflikten. Was verstehst du unter diesem Begriff?

Ein Konflikt ist für mich etwas, wo Grenzen spürbar werden. Entweder im Außen oder im Innen. Mit einer Grenze im Innen meine ich, dass selbst wenn die äußeren Umstände günstig sind, mich zum Beispiel Angst, Zweifel oder Scham (noch) hindern, meine Anliegen oder Ideen umzusetzen. Aus der Philosophie der „Restorative Justice“ (Wiedergutmachende Gerechtigkeit) kenne ich die Formulierung, dass ein zwischenmenschlicher Konflikt ein Bruch in einem Netz von Beziehungen ist.

Ein Bruch in Beziehungen? Es klingt nach etwas, das wegbricht und neu entstehen muss…

Ich sehe ein Beziehungsnetz in Form eines Spinnennetzes vor mir, das beschädigt ist. Die Verbindungen zwischen den Menschen müssen wieder neu gesponnen werden. Konflikte sind dem Anschein nach oft nur lokal in uns oder mit ganz konkreten Beteiligten, aber wir vergessen manchmal, dass wir auch Teil eines größeren Gewebes sind.

Wann hast du begonnen dich mit Konflikten professionell zu beschäftigen. Hat es hierfür einen Auslöser gegeben?

Mich haben die Ungerechtigkeiten und Konflikte, wie sie in der Welt allgegenwärtig sind schon sehr früh berührt. Mit dieser Erkenntnis kam auch die Sehnsucht nach einer Antwort auf die Frage, wie ich dieser Welt gerecht werden kann. Ich habe nach der Matura begonnen Jus zu studieren, weil ich darin eine reale Möglichkeit sah, an eben jenen Veränderungen zu arbeiten. Ich habe allerdings erkennen müssen, dass die Juristerei mir nicht den Rahmen bietet, wie ich mit den Schwierigkeiten und Problemen arbeiten möchte. In diesem Entscheidungsfeld ist man stark an ein formales Regelwerk gebunden, in dem die Menschen mit ihren Bedürfnissen wenig Platz haben. So bin ich während meines Studiums glücklicherweise auf die Mediation gestoßen. An einem Infoabend für einen Mediationslehrgang habe ich gewusst, DAS ist es, was ich machen möchte.

Konflikte haben für viele Menschen etwas Beklemmendes, zum Teil auch Bedrohliches. Du arbeitest tagtäglich mit Konflikten. Was steckt in dieser Arbeit, das dich so begeistert?

Eine interessante Frage. Mich begeistert das Potential, das darin geborgen ist. Für mich hat Konflikt viel mit innerem Wachstum zu tun. Es regt zur Auseinandersetzung mit den Fragen an: wer bin ich, was ist mir wichtig und welcher Entwicklungsschritt möchte gegenwärtig gelebt werden. Deshalb gefällt mir auch der Definitionsbegriff der Grenze. Denn wenn ich an eine Grenze stoße, bin ich gefordert, mich mit ihr bewusst auseinanderzusetzen. Ich sehe sehr viel Potential in dieser Welt, in den Menschen und dem Guten, das in uns steckt. Wenn es gelingt, dass sich durch einen Konflikt, Menschen wieder begegnen können, so ist das etwas Wunderschönes.

Das ist eine sehr schöne Art, Konflikte zu betrachten. Hat sich dadurch auch dein eigenes Konfliktverhalten im Laufe der Zeit verändert?

Es ist so, als hätte ich seit meiner Mediationsausbildung eine Brille auf, die mich erkennen lässt, wie wir konstruktiv und schöpferisch mit Konflikten umgehen können und zugleich sehe ich deutlich, wo meine Schatten und Schwachstellen im Umgang mit meinen eigenen Konflikten sind. Es ist immer wieder schmerzhaft, diese Spannung zwischen „so könnte es sein“ und „so ist es im gegenwärtigen Moment“ auszuhalten. Und obwohl genau das schwierig ist, hilft mir diese Brille auch zu verstehen, dass ich Lernende bin und bleibe. Das gilt sowohl in meinem Privatleben als auch in meiner Arbeit. Ich merke welche Entlastung die Erkenntnis mit sich bringt, dass man sich in diesem Lernfeld bewegen und über jeden Schritt, der gelingt freuen kann. Natürlich habe ich mich im Laufe der Jahre in meinem Konfliktverhalten verändert und gewinne auf diesem Terrain immer mehr an Boden und Halt. Ich versuche, möglichst aus meiner Mitte heraus schwierige Themen zu bearbeiten und überlege genau, was denn wirklich mein Anliegen ist, das hinter meinem Problem steht. Ich folge auch der Idee nicht zu viel von anderen zu erwarten, sondern mich selbst als Bringende in der Welt zu begreifen. Denn was wir selbst in die Lösung eines Konfliktes einbringen, das gestaltet auch den konstruktiven Wandel mit. Und das hat etwas Selbstermächtigendes.

Was genau meinst du damit?

Ich erkläre das vielleicht an einem Beispiel. Wir Menschen haben oft Erwartungen an unsere Mitmenschen, die diese oft nicht erfüllen können oder wollen. In Paarbeziehungen ist das sehr häufig der Fall, dass man sich von seinem Partner etwas ganz Bestimmtes erhofft oder erwartet. Mit dem persönlichen Einbringen meine ich, dass wir das, was wir in der Beziehung leben möchten, selbst einbringen können, anstatt es zu erwarten.  Wenn ich gerne mit meinem:r Partner:in mehr Zeit zu zweit hätte und ich die Forderung an ihn/sie richte für die Umsetzung Sorge zu tragen, kann es sein, dass ich in der Erwartungshaltung dieser Veränderung bleibe. Wenn ich hingegen selbst Verantwortung für mein Anliegen übernehme und zum Beispiel meine:n Partner:in einlade zu einer gemeinsamen Aktivität, tue ich selbst mein Mögliches um zum Gelingen beizutragen.

Was ist in deinem Beruf an Handwerkszeug essenziell?

In meiner Arbeit ist es mir wichtig einen Raum zu schaffen, in dem es meinen Klient:innen möglich ist, das lebendig zum Vorschein zu bringen, was ihnen im gegenwärtigen Moment wichtig ist, was sie berührt. Sie sollen mit mir ein Gegenüber finden, das ihnen einen sicheren Gesprächsrahmen zur Verfügung stellt, sie mit ihrem Konflikt bzw. Problem ankommen lässt, und ihnen zuhört. In diesem Raum soll die Intensität des Konfliktes Platz finden, damit überhaupt erst das Wesentliche, das gehört werden will, emporsteigen kann. Es ist ein sensibles Unterfangen, den Raum für den Konflikt zu öffnen, ohne ihn gleichzeitig mit einer destruktiven Abwärtsspirale zu füllen. Denn beim oftmaligen wiederholen der Probleme bzw. der Konfliktgeschichte werden sie immer wieder neu erlebt, was einer konstruktiven und zukunftsweisenden Richtung entgegengesetzt sein kann. Das Negative zuzulassen und sich dem zuzuwenden, was an heilender Kraft zur Lösung bereit steht, ist ein Balanceakt.

Gibt es eine Begebenheit im Nachbarschaftsservice, an die du dich gerne erinnerst?

Da fallen mir mehrere Begebenheiten ein. Eine die mich besonders erfreut hat, war ein Konflikt, der die Beziehung zweier Konfliktparteien maßgeblich verändert hat. Gegenstand des Konfliktes war Kinderlärm, ein Thema, mit dem wir öfters konfrontiert sind. Im Rahmen unserer Arbeit gelang es beiden Parteien ihre Bedürfnisse, ihre persönlichen Bilder und Emotionen zu verbalisieren. Beide haben ihre individuellen Lern- und Bewusstseinsschritte für eine selbstständige Begegnung und Klärung genutzt. Ich bin dankbar und erfreut zugleich, dass wir gemeinsam eine Brücke erbauten, die die Betroffenen ohne mein Zutun begingen. Momente und Erfahrungen wie diese machen meine Arbeit erfüllend.

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