Erika Deines, BAJus ist Absolventin des Erickson International Coaching Programms sowie eines prostgradualen Lehrgangs „neuroscience of leadership“ an der Middlesex University. Sie arbeitet seit über 20 Jahren in freier Praxis, als Mediatorin und Conflict Coach mit Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen. Im Gespräch erzählt Erika Deines was uns Konflikte offenbaren und verrät ihren persönlichen Umgang mit ihnen.

Liebe Frau Deines, eine Frage zu Beginn: Wie kann man den Begriff Konflikt definieren?

Die Konflikte, mit denen ich arbeite, sind interpersonale, also soziale Konflikte zwischen einzelnen Personen. Sie sind Ergebnis interaktiver Prozesse im Rahmen derer die handelnden Personen auf der Suche nach Sinn und den gemeinsamen Bedeutungsbezügen sind. Diese Prozesse wurzeln in den Wahrnehmungen, Interpretationen und Ausdrücken der Beteiligten, die zirkular mit dem Alltagswissen bzw. mit den persönlichen Vorstellungen gekoppelt sind. Die Bedeutung entsteht dann, wenn sich die Menschen innerhalb eines Bedeutungsgewebes verordnen, d.h. wenn sie Vergleiche anstellen und Unterscheidungen treffen.

Sie sprechen den Sinn an. Was bedeutet das konkret, wenn Menschen in Konfliktsituationen nach Sinn suchen?

Jede:r von uns folgt Glaubenssätzen, die unsere Lebensanschauung begründen. Allerdings machen wir uns im alltäglichen Leben kaum oder wenig Gedanken darüber, wo diese herkommen bzw. fragen wir nicht danach, warum wir so denken, wie wir denken. Meine Klient:innen erhalten die Möglichkeit darüber zu reflektieren und den Sinn der vorhandenen Glaubenssätze und Denkmuster zu erfassen. Auf Fragen, die ich stelle, höre ich dann oftmals die Rückmeldung: „darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.“ Die sinnbezogene Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Umfeld nimmt in meiner Konfliktarbeit einen großen Stellenwert ein.
Eine Mediation wird von den Klient:innen anfangs oftmals als Möglichkeitsraum verstanden, alles was sie über die andere Partei wissen, oder glauben zu wissen und um deren Fehler zu beweisen darzulegen. Diese Denke umzudrehen bzw. neu zu rahmen, in dem sich der Blick auf die Begründung der eigenen Einstellungen und deren Sinn richtet, ist für mich immer wieder höchst interessant, denn hierbei entsteht viel Unerwartetes.

Ist das etwas, das Sie mit den Medianden gemeinsam erarbeiten, oder sprechen Sie mit ihnen getrennt darüber im Vorfeld?

Ich nenne es Reife zur Mediation. Diese Reife muss erst einmal erarbeitet werden. Ich finde, wenn man im Vorfeld eine gute Arbeit leistet, dann sind Mediationen oft auch ganz einfach und mit großer Motivation verbunden, weil die Parteien sich schon darauf freuen, endlich die Möglichkeit zu haben, sich so auszudrücken, wie sie es in den Vorgesprächen gelernt haben. Ziel ist es, dass sie sich ihrer selbst bewusst sind, sich nicht als Opfer wahrnehmen, sondern, dass sie in der Lage sind, Gespräche konstruktiv zu führen.

Was hat Sie dazu bewogen, professionell mit Konflikten zu arbeiten?

Ich war 15 Jahre lang PR-Beraterin eines kanadischen Abgeordneten. Wie Sie sich vorstellen können, entstehen in diesem politischen Umfeld auch viele Konflikte. Nicht nur zwischen einzelnen politischen Akteur:innen, sondern auch bei den Bürger:innen, die große Erwartungen in die politische Leistung legen.
Nach so vielen Jahren meiner Tätigkeit verspürte ich eine starke Unzufriedenheit, weil ich von der Politik immer wieder vorgefertigte Antworten erhielt, die den Bürger:innen nicht weiterhelfen konnten. Im Gegenteil, die Menschen fühlten sich in ihren Anliegen nicht ernst genommen.
Eines Tages, als ich vom Urlaub zurückgekommen bin, spricht mich eine Arbeitskollegin auf ein Conflict Management Programm auf der Universität Calgary an. Ich habe mich für die Ausbildung interessiert und sie letztlich auch absolviert. Sie hat mein Leben verändert und mich motiviert, mich in anderen wissenschaftlichen Fachrichtungen weiterzubilden. Als Mediatorin verfolge ich einen multidisziplinären Ansatz aus den Bereichen der Philosophie, Psychologie und Neurowissenschaft.

Ich habe Ihren Artikel in der Fachzeitschrift Perspektive Mediation gelesen, in dem Sie interessante Zusammenhänge zwischen der Neurowissenschaft und der Mediation herstellen. Sie schreiben, dass wir in emotionaler Überforderung nicht fähig sind, rational zu denken. Wir brauchen eine Art Selbstregulierung. Erzählen Sie mir bitte mehr davon.

Unser limbisches System reagiert sehr schnell, wenn wir etwas als gefährlich wahrnehmen. Ganz egal, ob unsere Reize durch hören, sehen oder riechen aktiviert werden: sobald unsere Sinne in Alarmbereitschaft stehen, sind wir emotional überwältig und haben keinen oder zumindest einen stark eingeschränkten Zugriff auf unsere Kognition. Selbstregulation gelingt allerdings erst, wenn ich mit meinen kognitiven Fähigkeiten bewusst arbeite, ich in einer emotionalen Überwältigung beispielsweise meine Gefühle benenne, bzw. sie bewusst ausspreche. Emotion und Kognition kann man sich als zwei einander gegenüberliegende Enden einer Wippe vorstellen. Wenn ich stark emotional bin, lässt das Denken nach und umgekehrt, wenn ich zu sehr im Denken bin, kann ich nicht fühlen.

Was begeistert Sie an Konflikten?

Es gibt einen Spruch, der mir sehr gefällt: „Collaboration is not about glueing together existing egos. It’s about the ideas that never existed until after everyone entered the room.” Das heißt es geht nicht darum, dass die Personen, welche den Raum betreten ihr Ego behaupten und sich beweisen, sondern darum, welche Ideen geschöpft werden können, die erst dann sichtbar werden, wenn alle Menschen im Raum sind.

Ideen, die entstehen, wenn alle Menschen ihren ganz persönlichen Beitrag dazu leisten….

Ja genau. Wir Menschen neigen dazu, Probleme zu analysieren und Verantwortliche bzw. Schuldige zu benennen. Eine Analyse des Problems, macht aber nur einen Teil des Handlungsspektrums aus. Verhaftet man an ihr, birgt sie die Gefahr in der Problemlösung stecken zu bleiben, bzw. Ergebnisse zu erzielen, die die Menschen weiter auseinandertreiben.
Vielmehr sind wir daher gefragt unsere Handlungsabsichten und ihre Auswirkungen auf unser Umfeld zu berücksichtigen. Tun wir das, so entsteht Empathie und unsere Spiegelneuronen werden aktiv, die es uns ermöglichen, uns in die Situation des anderen hineinzuversetzen, ihn:sie zu verstehen. Menschen kann es dann auch gelingen, ihrer Lösungskreativität freien Lauf zu lassen und für das große Spektrum an Möglichkeiten, das sich ihnen bietet, offen zu sein. Können die Parteien das in gleichem Maße, so entsteht daraus etwas Unglaubliches.
Hierzu möchte ich gerne ein Beispiel anführen. Ich hatte eine Mediation, in der es um eine Zahlungsforderung ging, die der Schuldner dem Gläubiger nicht leisten konnte. Gegenstand des Konfliktes war ein Auftrag an eine Firma, eine Unternehmenswebsite zu entwickeln. Der Auftrag wurde plangemäß und zur Zufriedenheit des Unternehmens erfüllt, allerdings ging die Firma, die die Website in Auftrag gab, zwischenzeitlich in Konkurs. Die Parteien steckten in ihren Verhandlungen fest, bis wir im Rahmen der Mediation, als bereits alles auf dem Tisch war, eine kurze Pause machten. Danach fasste ich die bisherigen Themen noch einmal zusammen, als dem Schuldner plötzlich die Idee kam, dass er zwar zahlungsunfähig war, er aber noch viele Flugmeilen besaß, die er im Laufe seiner letzten Berufsjahre sammelte. Er bot dem Gläubiger diese als monetäre Alternative an. Ein Angebot, das der Gläubiger gerne annahm. Die alleinige Analyse des Problems hat die Verhandlungen der Parteien zum Stillstand gebracht. Erst als sie ihr erweitertes Gehirnumfeld aktivierten, konnten sie eine, für beide tragbare, Lösung finden.

Vielen Dank für dieses anschauliche Beispiel! Wie gehen Sie mit eigenen Konflikten um?

Sowohl privat als auch beruflich arbeite ich daran, mein Bewusstsein zu schärfen. Dazu praktiziere ich Achtsamkeitstraining und Yoga. Beide Praktiken helfen mir auch, Leerläufe zu akzeptieren und anzunehmen. Das heißt, ich mache mir keinen Druck, mein vorhandenes Wissen und meine Kenntnisse ständig abzurufen, um Brücken zu bauen oder Lösungen zu finden. Dieser Zwischenraum bzw. Leerlauf bedeutet die Dinge vorerst mal so sein zu lassen, wie sie sind und keine Angst zu haben, die Kontrolle darüber zu verlieren. Es folgt der Logik der Chaostheorie, die besagt, dass sich im Chaos eine natürliche Ordnung findet. Wenn ich mir selbst diesen Freiraum gönne und zugestehe, dann gebe ich meinem Gehirn die Möglichkeit, kreativ zu werden.
Mit dem Achtsamkeitstraining nehme ich auch meine Gefühle und Emotionen besser wahr. Auf die eigenen Emotionen zu achten ist sehr wichtig, denn sie stehen für die Tatsache, dass irgendeines meiner Bedürfnisse (nicht) gedeckt ist. Emotionen bzw. Gefühle sind Warnzeichen und geben unserem limbischen System Hinweise, ob etwas ein Geschenk oder eine Gefahr ist. Ohne diese Abschätzung wären wir verloren. Was ich also tue, ich verlangsame den Prozess, atme tief durch und schau‘, wohin mich der Weg führt.

Frau Deines, vielen Dank für das offene, informative und persönliche Gespräch im Umgang mit Konflikten.

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